Können wir aus dem amerikanischen Wahlkampf etwas lernen? Ja, schon, meine ich. Obwohl man vorsichtig sein muss. Gesellschaftliche Strukturen unterscheiden sich; Traditionen sind verschieden, das Wahlrecht ist verschieden. Aber ich schlage folgende Lernprozesse vor:
1.
Auch ein populistischer Vollkoffer wie Trump kann eine Wahl gewinnen. Er muss bei einer Wahlbeteiligung von knapp 50% nur das populistischste Viertel der Bevölkerung hinter sich scharen.
(Obwohl: in Österreich hätte er eh verloren. Da zählen Stimmen, nicht „Wahlmänner“.)
Und: Gegen das populistischste Viertel der Bevölkerung hilft eine hohe Wahlbeteiligung. Dann macht dieses Viertel keine Mehrheit aus.
(Ich möchte hier noch differenzieren: Donald Trump erscheint mir als „populistischer Vollkoffer“. Es könnte aber sein, dass er keiner ist, sondern nur ein glaubwürdiger Darsteller eines populistischen Vollkoffers. Vielleicht ist er nur ein Schauspieler, der ein Drehbuch und eine Regie exekutiert. Ich glaub’s zwar nicht, aber möglich ist es.)
2.
Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Man kann mit Vernunft und Anstand allein einem populistischen Vollkoffer wie Trump nicht Paroli bieten – denn am populistischsten Viertel der Bevölkerung gehen Vernunft und Anstand im Großen und Ganzen vorbei.
(Obwohl: ich glaube nicht, dass die Clinton-Kampagne nur durch Vernunft und Anstand gekennzeichnet war.)
Aber: Van der Bellen ist vernünftig und anständig. Sehr. (Hofer gibt sich auch vernünftig und anständig; seine Kampagnenteile in den sogenannten „sozialen Medien“ sind es aber ganz und gar nicht.) Vielleicht ist Van der Bellen bzw. seine Kampagne zu „anständig“. Man sollte z.B. durchaus nennen, dass Norbert Hofer eine Berufsunfähigkeitspension beantragt und zugestanden bekommen hat. Ja, diese Daten waren geheim und wären geheimzuhalten gewesen. Doch diese Daten sind mittlerweile öffentlich und nicht mehr geheim. Norbert Hofer ist berufsunfähig; er hat Anspruch auf eine entsprechende Pension. Norbert Hofer hat aber noch keinen Anspruch auf Pflegegeld, obwohl er auch das beantragt hat.
Norbert Hofer ist kein Nazi. Aber es ist wichtig festzustellen, dass er kein Nazi ist.
Karlheinz Grasser empfiehlt die Wahl von Hofer. Ein gutes Argument gegen Hofer.
Norbert Hofer ist kein „grober Klotz“; er gibt sich als sunny boy. Es ist schwierig, ihn für die Gewaltandrohungen, die in seiner Kampagne täglich passieren, verantwortlich zu machen. Direkt verantwortlich ist er ja nicht. Der „Rechtspopulist als netter Mensch von nebenan“ ist ein geschicktes setting. Und der Anspruch der Anständigen, sich nicht auf das Niveau der Gegner hinunter zu begeben, ist (a) richtig und (b) schwierig.
Wir sollten nicht unvernünftig und unanständig werden, um Hofers Wahlkämpfer mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Aber wir sollten die noblesse nicht übertreiben und klare, gut verständliche Worte zum Kandidaten und seinen Zielen finden. Auch wenn das nicht immer „nett“ klingt.
3.
Frauenfeindlichkeit ist kein Wahlhindernis. Das populistischste Viertel der Bevölkerung ist selbst potenziell frauenfeindlich und findet „Umkleidekabinengespräche“ lustig und jedenfalls nicht schlimm. (Auch Frauen.)
Frauenfeindliche Bemerkungen sind sehr gut geeignet, die Aufmerksamkeit auf ein vom populistischsten Viertel der Bevölkerung als belanglos empfundenes Problemfeld zu lenken und damit die Aufmerksamkeit von mindestens ebenso wichtigen Themen abzulenken. Es ist leichter, sich über Frauenfeindlichkeit zu empören, als eine wirtschaftspolitische Weichenstellung zu diskutieren.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Trump-Kampagne über den Skandal mit dem Spruch vom „pussy grabbing“ gar nicht unglücklich war (ja: ihn sogar mitproduziert hat). Das hat 100 Millionen AmerikanerInnen eine Zeitlang sehr beschäftigt. In dieser Zeit haben sie sich nicht mit mindestens ebenso wichtigen politischen Themen auseinander gesetzt.
Wir lernen daraus: sich nicht auf ein Thema einschränken lassen. Auch wenn man dort eindeutig die besseren Karten hat.
Lit.:
Berufsunfähigkeit, Datenschutz? Selbstverständlich!