Eine Feier
Ich komme gerade von der gestern stattgefundenen 100-Jahr-Feier des Abendgymnasiums Wien zurück. Die Wiener Kolleg*innen haben sich viel angetan: sie veranstalteten eine sehr schöne Feier – sogar der Bürgermeister war da – und präsentierten eine beeindruckende Broschüre über die 100-jährige Geschichte, die auch als Ausstellung zu sehen war bzw. ist. Ja: 1923 waren wesentliche Schritte zur Entstehung des Abendgymnasiums Wien gesetzt worden: die „Geburt einer Idee“: aus von Wanda Lanzer gegründeten Vorbereitungskursen für Lehrlinge entstand eine „Arbeitermittelschule“.
Ich war ebenfalls eingeladen – individuell, nicht als Vertreter einer Schule, denn ich bin ja in Pension. Ich hatte angeboten, eine kleine Grußadresse mitzubringen und bin vor einer Woche gefragt worden, ob das Angebot noch steht. Ich habe zugesagt und dann auf die Schnelle einen Text verfasst und vorgelegt, der stillschweigend angenommen worden ist.
Gestern war ich dann der erste (!) Redner, noch vor dem Bürgermeister! Ich habe in etwa gesagt:
Eine kleine Rede
Liebe Festgäste!
Ich werde keine Rede halten; ich bringe nur eine kleine Grußadresse aus räumlicher und zeitlicher Distanz. Die räumliche Distanz sind die 400, 500 Kilometer von hier nach Tirol und Vorarlberg, die zeitliche Distanz sind die letzten 30 Jahre.
Ja, ich nehme das Abendgymnasium Wien seit etwa 30 Jahren wahr – aus Innsbruck, also aus einer Distanz, die auch Unwichtiges ausgefiltert hat.
Zunächst, damals im 20. Jahrhundert, habe ich es noch als Lehrer wahrgenommen; später dann als Administrator und bis 2022 als Direktor der Kolleginnen und Kollegen in Innsbruck.
Was schon im 20. Jahrhundert wichtig war: das Abendgymnasium Wien war immer eine extrem starke und treibende Kraft der Schulentwicklung. Wir wären heute nicht da, wo die Abendgymnasien jetzt stehen, wenn nicht Wien immer wieder für starke Impulse gesorgt hätte. Ich erinnere mich noch an gemeinsame Fortbildungen, wo wir gegen Ende des 20. Jahrhunderts „Lernplattformen“ für den Fernunterricht entwickelt haben, als es den Begriff Lernplattform noch gar nicht wirklich gab.
Ihr habt Themen gesetzt und über unsere Arbeitsgemeinschaft gemeinsam mit uns in den Bundesländern Entwicklungen vorangetrieben. Wer muss euch dafür danken? Vielleicht die Studierenden, die wir alle auf diese Weise fördern konnten. Vielleicht aber auch die Republik, die wir mit sehr gut qualifizierten und hoch motivierten Absolventinnen und Absolventen beliefert haben.
Ich wünsche Euch und uns allen als Abendgymnasien noch viele weitere erfolgreiche Jahrhunderte.
Tatsächlich …
Tatsächlich überblicke ich von den 100 Jahren, die die Wiener Schule hinter sich hat, in etwa die letzten 30: aus der Innsbrucker Entfernung zunächst als Lehrer und letztlich als Direktor. Und mein Text hatte in die Planung offenbar sehr gut gepasst. Er gab dem Abendgym Wien noch seinen prominenten Platz innerhalb der Entwicklung in Österreich, über Wien hinaus. Die Wiener sind nicht nur mit mehr als 2.000 Studierenden das bei Weitem größte der österreichischen Abendgymnasien, sondern auch qualitativ eine ganz besonders starke Schule. (Die Innsbrucker Schule hatte es auch bereits auf 800 Studierende gebracht.) Tatsächlich haben wir in Innsbruck und in den anderen Bundesländern mit den Wiener Kolleginnen und Kollegen sehr oft und oft auch sehr eng zusammengearbeitet – im Verein „Arbeitsgemeischaft der Abendgymnasien“ hatten wir das richtige Werkzeug dazu. Tatsächlich haben wir Ende des 20. Jahrhunderts Fernstudien konzipiert und dazu Dinge entworfen, die man einige Jahre später dann Lernplattformen nannte. Es ist nicht übertrieben.
Leider …
Leider kann ich den sehr gut gelungenen zeitgeschichtlichen Abriss, den die Wiener Schule gestern auf Papier, als Ausstellung und als Präsentation vorgelegt hat, hier nicht zum Download zur Verfügung stellen. Vielleicht schaffen wir das noch.
Lieber Michael, eine kurze, aber sehr wichtige Rede, die die gesellschaftspolitische Relevanz der Abendgymnasien hervorhebt und auch unterstreicht, wie wichtig Lehrende sind, die über die eigentliche Dienstverpflichtung hinaus, in innovativer und kreativer Weise bedeutsame Schritte in Sachen Schulentwicklung gesetzt haben und dies auch heute leisten. Damit eine Schulform wie das Abendgymnasium entstehen konnte, brauchte es Menschen, die mit viel Idealismus, Engagement, unzähligen unbezahlten Stunden allein und vor allem im Team mit anderen von ihrer Arbeit überzeugten und begeisterten Lehrkräften, geleistet haben. Gäbe es all diese Menschen nicht, dann hätte das Abendgymnasium Wien die 100Jahrfeier nicht ausrichten können und hätten wir… Mehr »
[…] Seit ca. 100 Jahren gibt es in Österreich „Abendgymnasien“: Schulen, an denen man eine Matura ablegen kann und deren Unterricht – weil für Berufstätige gedacht – hauptsächlich an Abenden abgehalten wird. Am 27. November feierte das Abendgymnasium Wien sein 100-Jahr-Jubiläum; ich habe davon berichtet. […]