Vollzeitarbeit nimmt ab
Sehr viele junge und nicht mehr ganz so junge Menschen arbeiten nicht mehr voll. Sie sind Teilzeitarbeitskräfte: mit einer Wochenzeit von 30 Stunden oder weniger.
Viele machen das nicht freiwillig. Es sind in unserer Gesellschaft immer noch die Mütter, die hauptsächlich als heim-liche Pflegekräfte tätig sind: die sich um die Kinder kümmern, oder um den alten kranken Opa, die gebrechliche Oma. Die können sich keinen 40- oder 38-Stunden-Job leisten und brennen neben den Pflegeverpflichtungen schon in einem halbtägigen Job aus, ganz abgesehen davon, dass sie als Teilzeitarbeitskräfte weniger Rechte haben und auch für ihren Ruhestand nicht wirklich vorsorgen.
Manche machen das freiwillig. Die haben einen gar nicht so schlecht bezahlten Job und brauchen nicht „das ganze Gehalt“, sondern kommen auch mit weniger aus. Sie achten auf eine sogenannte „work life balance“ und sind mit einem 2/3- oder 3/4-Gehalt mehr als zufrieden. Die achten auch auf eine Qualität am Arbeitsplatz; die wollen sich z.B. keine spinnerten Chefs gefallen lassen und keine ungesunden Arbeitsverhältnisse.
Und so gibt es viele Leute – für „die Wirtschaft“ zu viele, die nicht mehr ganztägig arbeiten. („Die Wirtschaft“ sind wir ja eigentlich alle, aber normalerweise meint man damit bloß die Unternehmer. Das ist zwar streng genommen falsch, aber leider Tradition.)
Eigene Erfahrung
Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich war 16 Jahre lang Vertragsassistent an der Uni Innsbruck. Immer „halbtätig“, nie mit einem längeren Vertrag ausgestattet. Ich musste alle 2 Jahre um Vertragsverlängerung ansuchen und hatte keinerlei Recht auf die Verlängerung; die war immer von den Chefs abhängig. (Ich hatte „gute“ Chefs, in mehrfacher Hinsicht.)
Am Anfang fand ich das super: ich hatte viel Zeit für interessante Tätigkeiten jenseits meines eigentlichen Jobs. Meine Jobs habe ich sehr gut erledigt: sicher habe ich immer deutlich mehr als 20 Wochenstunden gearbeitet. Aber ich war „mobil“; konnte gehen, wann ich wollte (nur leicht übertrieben) und kam mit meinem halben Gehalt recht gut aus: ich brauchte nicht viel. Ich habe mich in öffentlichen Diskussionen sehr für die Aufwertung von Teilzeitarbeit eingesetzt und habe mir da viel vorwerfen lassen müssen, von schwarzen wie von roten Politiker*innen.
1988 wurde ich Vater, 1989 noch einmal. Das änderte Vieles.
Vollzeitarbeit attraktiver machen?
Was fordern unsere Industriellen? Dass sich die Politik darum kümmern möge, Vollzeitarbeit „attraktiver“ zu machen. Tja, die Forderung müsste man halt auch an sich selbst richten, nicht nur an „die Politik“. Es ist heutzutage Aufgabe eines modernen Chefs, vernünftige Arbeitsverhältnisse zu schaffen.
Kürzlich hat sich auch Wirtschafts- und Sozialminister Kocher in dieser Frage versucht. Aber er hat das „gut gemeint“, aber recht ungeschickt angepackt und musste heftig zurückrudern.
Arbeit und Produktivität
Heute morgen plädierte im Morgenjournal von Ö1 sogar Frau Köppl-Turyna, eine Vertreterin „der Wirtschaft“, für eine Arbeitszeitverkürzung auf 36 oder 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich – wenn, ja wenn das die gesteigerte Produktivität zulasse. Die Produktivität bestimme die notwendige Arbeitszeit; das hänge von der Branche ab. In manchen Branchen komme man gut mit weniger Stunden als „Vollzeit“ aus, da könne man das Quantum für Vollzeitarbeit durchaus reduzieren, in anderen Branchen – Bildung und Unterricht, Pflege wurden genannt – sei das nicht möglich.
Tatsächlich steigt die Produktivität unaufhaltsam und es werden immer weniger Menschen gebraucht, um die Güter, die wir brauchen, zu produzieren. (Schon gar dann, wenn wir aufhören, Güter, die niemand braucht, herzustellen. Das wäre ökologisch jedenfalls sehr sinnvoll.) Wir alle kennen Bilder von Fabrikshallen, in denen fast kein Mensch mehr arbeitet, weil die Arbeit von Robotern erledigt wird.
Eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich ist also unbedingt nötig. Das käme auch den unfreiwilligen und den freiwilligen Teilzeitarbeitenden entgegen.
Branchen ohne Produktivitätsgewinn?
Aber stimmt es, dass es Branchen gibt, die keinen Produktivitätszuwachs zu verzeichnen haben, die also nicht für eine Arbeitszeitverkürzung in Frage kommen? Ich halte das für Unsinn. Ich weiß sehr genau, wie sich der Beruf des Lehrers in den letzten Jahrzehnten geändert hat: durch neue Unterrichtsmaschinen, Lernprogramme, Softwarelösungen. Da geht es nicht mehr nur darum, „vor 20 Leuten in der Klasse zu stehen“ – und dann ist der Job getan. Da geht es um die Beherrschung von Unterrichtstechnologien, die viel mehr als 20 Schüler*innen mit Stoff versorgen können. Da geht es darum, Jugendlichen in einer Welt voller Ablenkungen Fokussierung auf Wesentliches beizubringen: ein harter, komplexer Job.
Ich habe nahen Einblick in die medizinische Pflege: als Patient, als Vater und als Schwiegervater. Was sich da in den letzten Jahrzehnten an Produktivitätszuwachs und (damit verbunden) Kompetenzenzuwachs angesammelt hat, ist für Außenstehende oft kaum vorstellbar. Dass junge Lehrer*innen und Krankenpfleger*innen oft schon früh „nicht mehr können“, weil sie ausgebrannt sind, ist Fakt und alarmierend. Dass damit die Teile der Arbeit, die nicht maschinell unterstützt werden – Kommunikation, Empathie – zu kurz kommen, ist sowohl Patient*innen als auch für das Pflegepersonal nervenaufreibend und frustrierend.
Ja, wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung auf etwa 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. Damit stellt sich auch das Problem der Teilzeitarbeit neu und anders.
Es kann sein, dass diese Forderung nicht alls Branchen gleichermaßen trifft. Aber das wird sich relativ flott ausgleichen.
Noch eine Variante
Es gibt noch eine Lösung. Trennen wir doch das Geldverdienen vom Arbeiten – wenigstens zu einem guten Teil. Zahlen wir allen Bürger*innen ein Grundeinkommen, von dem man ohne Verrenkungen leben kann. Manche wären mit diesem Grundeinkommen zufrieden und würden nicht mehr arbeiten. Viele wären mit dem Grundeinkommen noch nicht zufrieden und würden Arbeit suchen, aber selbstbewusst, weil ihre Existenz ja schon gesichert wäre. Die Qualität von Arbeit – von Arbeitsplätzen und von Arbeitsprodukten – würde steigen.
Manche Branchen würden schließen: die, deren Produkte man eigentlich eh nicht braucht. Das würde Ressourcen und Energie sparen und CO2 ebenfalls. Dass da dann doch eine Menge gesellschaftlich sinnloser Arbeitsplätze wegfallen würden, wäre für den Planeten ein großes Aufatmen.
Unbedingt Arbeitszeit verkürzen, bei vollem Lohn! Dem Staat geht es darum, möglichst viel Geld einzunehmen, damit er im Gießkannenprinzip die großen Mäuler beruhigen kann. Die Produktion MUSS heruntergefahren werden, damit wir unserem Planeten eine Chance geben können. Es geht nicht immer um mehr, mehr, mehr, sondern um sehr viel weniger und um eine bessere Qualität, in jeder Hinsicht. Sei es in der Bildungsarbeit oder in der Pflege oder in einem z.b.Brotbackbetrieb. Was nützen die abertausenden Semmeln, die tonnenweise wieder im Müll landen und gesundheitliche Schäden anrichten, bei denen, die sie konsumieren? Die Qualität macht es aus. Gute Arbeitsbedingungen schaffen mit… Mehr »