Ein Bundespräsident, der die Welt realistisch sieht – und trotzdem Optimismus formuliert
Seit gestern hat Österreich einen neuen Bundespräsidenten. Es ist zwar der alte: Alexander Van der Bellen, aber sein Auftreten ist klarer geworden. Das macht Hoffnung. Er fomuliert auch einen gewissen Optimismus; den würde ich gerne teilen, aber ganz schaffe ich es nicht.
Im Vorfeld der Angelobung
Im Vorfeld der Angelobung haben die ORF-Journalist*innen Susanne Schnabl und Hanno Settele in etwa 45 Minuten „20 Fragen“ an den Bundespräsidenten gestellt. Er ist in diesem Interview sehr deutlich geworden. Er werde z.B. keine Partei, die den Austritt aus der EU verfolgt und den Krieg Russlands nicht verurteilt, „noch befördern“. Auch die Unverhandelbarkeit der Menschenrechte mahnt der Präsident ein – ein leider wieder aktuelles Thema („Dieser Mann hat nichts verstanden“).
Im Interview äußert Van der Bellen durchaus viel Verständnis für Klimaaktivist*innen. Als Frage 12 [Zeitmarke 34:30 im ORF-Video] stellt Settele: „Was würden Sie einem 19-jährigen, einer 19-jährigen Klimakleberin sagen?“ Van der Bellen antwortet:
Ich würde sagen: „Du hast mit Recht ein wesentliches Problem erkannt. Wenn wir unsern Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, dann ist es aller-allerhöchste Zeit, etwas gegen die Treibhausgasemissionen zu tun.“
Ob die Methode die richtige ist, das steht auf einem andern Blatt, das müsste man diskutieren. Immerhin haben sie eine neue Art von Öffentlichkeit geschafft, die sie, wenn sie nur still zuhause sitzen würden oder sich mit einem Schild irgendwo hinstellen würden, nicht erreicht hätten. Das muss man wohl auch sagen.
Settele will es genauer wissen und bohrt nach: „Heiligt der Zweck a bissl die Mittel da?“[36:06] Darauf Van der Bellen:
Tun wir das nicht so dramatisieren. Ich meine: Diese Leute verwenden Klebstoff, das sind keine Terroristen. Ein Terrorist verwendet Sprengstoff. Das ist etwas ganz ganz anderes. Also mit welcher Leichtfertigkeit manche Kommentatoren das als Klimaterroristen bezeichnen, dann muss ich wirklich sagen, das ist Geschmacklosigkeit erster Güte.
und
Mit Kommentator mein ich Leute, die reden über junge Menschen, die es richtig finden, auf das Problem hinzuweisen mit Methoden, die nicht erlaubt sind, aber so ist das eben im zivilen Ungehorsam. Das sind kleine Vergehen, ja, rechtlich gesehen, aber bitte doch kein Terror.
Van der Bellen auf die Frage nach härteren Strafen [36:30]:
Ich find das weit übers Ziel schießend. Das Kernproblem ist doch, wie schaffen wir es, noch einmal, unsern Kindern und Enkeln eine Welt zu hinterlassen, die noch Ähnlichkeit hat mit der, in der zum Beispiel ich noch groß gewachsen bin. Und die Ursachen der Klimaveränderung sind bekannt.
Auf [37:50] findet Van der Bellen noch Optimismus:
Wir haben hier einen Umbau der Wirtschaft vor uns, namentlich der Wirtschaft – weil wo werden CO2-Emissionen emittiert: im Verkehr, in der Industrie, im Gewerbe – der seinesgleichen sucht. Aber wir können es noch schaffen, und wir werden das auch schaffen, weil ich glaube nicht, dass es irgendjemand gibt in Österreich, dem das Leben unserer Enkel egal ist.
Da bin ich allerdings skeptisch. Ich glaube, dass es mit Freiwilligkeit und der Hoffnung auf ein gutes Leben für die Enkel nicht mehr geht.
Die Rede
Schon am Anfang seiner etwa 30-minütigen Rede [Zeitmarke 2:20] im Rahmen der Angelobung vor der Bundesversammlung geht Van der Bellen auf Ängste ein:
A propos Alltag, meine Damen und Herren, wir werden unseren gewohnten Alltag verändern müssen, denn sonst laufen wir Gefahr, unsere Zukunft abzuschaffen. Genau genommen sind wir schon dabei. Zu viele sehen unsere Zukunft nicht mehr als hoffnungsfrohen Ort, an dem unsere Kinder es besser haben werden als wir. Manche von uns glauben nicht mehr an die Wendung zum Guten. Andere sind so sehr mit den Herausforderungen der Gegenwart beschäftigt, dass sie meinen, sich Zukunftsgedanken nicht leisten zu können. Einige haben das Gefühl: die Zukunft? – das war einmal. Nämlich bei den Eltern, die hatten eine Zukunft, als sie jung waren. Und jetzt? No future. Nichts lohnt sich mehr. Andere verfallen in schiere Panik und apokalyptische Befürchtungen. Ich erfinde das nicht, das sind Umfragen. Zu Leopold Figls Zeiten hatten wir nichts, aber wir hatten die Hoffnung. Und glaubt man den aktuellen Umfragen, so scheint es fast, als hätten wir alles außer die Hoffnung.
[3:40][spont. Applaus]
Im späteren Verlauf [ab 17:40] widmet Van der Bellen mehr als 2 Minuten der Klimakatastrophe und der Politik dazu:
Meine Damen und Herren, Politik muss den Menschen die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. Im Fall der Klimakatastrophe wär es kurzfristig bequemer für alle zu sagen: ja, das Klima hat sich immer schon gewandelt, das ist völlig normal, der Neusiedler See hat einmal mehr und einmal weniger und einmal gar kein Wasser, die Schipisten sind einmal weißer, einmal matschig, aber wir sind eh ausgebucht. Das ist alles kein Grund unser gewohntes Verhalten zu überdenken. Aber das wäre bequemes Geschwätz. Es ignoriert naturwissenschaftliche Tatsachen.
Die Veränderungen des Klimas sind keine Fake News, sondern jahrzehntelang wissenschaftlich untersuchte und belegte Fakten – Fakten, die zu ignorieren für die kommenden Generationen lebensgefährlich ist.
[spont. Applaus]
Er zitiert dann noch UNO-Generalsekretär Guterres und schließt die Passage mit:
Wir haben jahrzehntelang versäumt, Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren. Auch das ist eine Tatsache. Ich verstehe nur zu gut, dass junge Menschen wütend und verzweifelt sind. Es geht um ihre Zukunft, um meine viel weniger. Wir müssen etwas tun, wir müssen handeln, wir müssen so schnell wie möglich raus aus der fossilen Energie. Und wir können das tun und ich möchte auch das Meinige dazu beitragen.
[spont. Applaus][20:00]
Insgesamt: immer wieder rauschender Beifall, am Schluss standing ovations. (Nur nicht bei der FPÖ.)
Van der Bellen versteht die politische Situation Österreichs, der EU, der Welt
Ich freue mich, dass der Präsident die brennenden Probleme klar benennt und klar Stellung bezieht. Er ist da weit deutlicher als bei seinen Eröffnungsreden zu den Bregenzer und Salzburger Festspielen, wo ich das Nicht-Eingehen auf die Klimakrise als politischen Fehler angemerkt habe.
Ich kann allerdings den von ihm versprühten Optimismus nicht wirklich nachvollziehen. Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, denen ihr momentaner Besitz wesentlich wichtiger ist als das Leben ihrer Enkel. Van der Bellen weiß, dass wir „so schnell wie möglich raus aus der fossilen Energie“ müssen – aber wie das gehen soll mit einer Bundesregierung, die alle selbst gefassten Pläne verfehlt: da gibt er keine Hinweise darauf. Man wird das bei einer Angelobungsrede vergeblich erwarten.
Wir werden uns nicht auf den Bundespräsidenten verlassen können. Wir müssen selbst aktiv sein und bleiben.
[…] Hanno Settele fragt Alexander Van der Bellen, was er zu einer 19-jährigen Klimaaktivistin sagen würde. Das zeigt: Hanno Settele hat offenbar wenig Ahnung, wer die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation sind. Ich kenne mittlerweile einige aus der Innsbrucker Gruppe; die meisten sind zwischen 20 und 30, manche auch deutlich älter. Ich mit 65 bin in der Innsbrucker Gruppe vermutlich der älteste. Die LG ist aber nicht die Kids von Fridays for Future. Oder nicht mehr. […]