Über die Neuerfindung des Wintertourismus
Das profil hat gestern ein Heft mit dem Titelthema „Wie sich der Wintertourismus neu erfinden muss“ herausgebracht. Das Titelbild deutet schon an, worum es geht:
Im Heft gibt es zwischen den Seiten 26 und 37 12 Seiten zum Hauptthema; unter dem Titel „Der wilde Kaiser“ findet sich auf S. 30f. ein nicht geführtes Interview mit dem Tiroler / Zillertaler / Gerloser Liftkaiser, ÖVP-Tourismussprecher, ÖVP-Nationalratsabgeordneten und Hotelier Franz Hörl. (Leider finde ich den Beitrag nicht online.)
„nicht geführt“ ist das Interview, weil Hörl die Interviewanfrage des profil zwar „annimmt“, aber offenbar aus Zeitmangel kein Interview zustandekommt. So montiert Redakteur Sebastian Hofer Aussagen Hörls in einen Artikel über ihn.
Diese Aussagen sind aussagekräftig.
1. „Was stört es die Wiese, wenn ein weißes Band durchführt?“
Das ist eine dieser Aussagen, in denen das profil offenbar Hörl wörtlich zitiert. Und sie zeigt, wie Hörl „argumentiert“. Natürlich „stört“ es die Wiese nicht, wenn man sie mit Kunstschnee bedeckt – sofern ich da nicht biologische Kriterien mangels Kenntnissen übersehe. Es geht aber auch nicht um das Störgefühl der Wiese. Es geht z.B. um den Energieaufwand und die Energiekosten und die zusätzlichen CO2-Emissionen, die so ein Band aus Kunstschnee auf einer grünen Wiese verursacht. Hörl weiß das auch – unterstelle ich ihm, aber er spricht lieber über die Gefühle der Wiese.
Es geht nebenher auch um die Sicherheit der Skiläufer. Eine auf die Wiese gesetzte Piste geht am Rand nicht in Schnee über, sondern in Gras, Steine, Schotter. Das ist speziell für ungeübte Skiläufer gefährlich; diesbezügliche Unfälle sind in diesem Winter schon mehrere vorgekommen.
Noch „nebenherer“ geht es um das Wintersportgefühl der Skiläufer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Menschen langfristig wollen: ein schmales Band aus sog. „Schnee“ auf grüner Wiese zum Schifahren. (Aber mei: es soll auch Leute geben, die in Skihallen in Dubai „Schifahren“. Unter ökologisch noch weit problematischeren Bedingungen.)
Und irgendwer muss das alles bezahlen. Und deshalb geht es letztlich auch um die Kosten für die Konsument*en. Zu „Skiurlaub als Luxusgut“ hat das profil eigene Texte parat. Laut Umfrage (S. 36, von Unique Research) fahren sowieso 63% aller Ösis nicht mehr Schi und weitere 22% nicht „unter diesen Bedingungen“. Das gibt eine Mehrheit von 85%, denen das schon zu teuer ist.
2. „Der Wohlstand des Westens Österreichs kommt zu großen Teilen aus dem Wintertourismus.“
Ja, da hat der Franz Hörl vermutlich recht. Mit all den Zulieferbetrieben hängt ein relativ großer Anteil der Tiroler Arbeitsplätze von der Schitourismus-Industrie ab.
Aber Hörl gibt damit auch zu, dass das Land Tirol seit Jahrzehnten – wer hat denn da in Tirol regiert? – es verabsäumt hat, auf die Klimakrise zu reagieren. Ja, wir sind in Tirol zu einem hohen Prozentsatz vom Schitourismus abhängig; nun kommt die Klimakatastrophe und die Tiroler Politik hat nichts (fast nichts, sehr wenig) dafür getan, dass wir andere, weitere wirtschaftliche Stand- und Spielbeine haben.
Das wäre seit Jahren und Jahrzenten wichtig gewesen; man hätte es sehen können, wenn man nicht absichtlich die Augen verschlossen hätte.
Aber dass der Wohlstand aus dem Wintertourismus kommt, rettet diesen nicht. Auch in Tirol wird man umdenken müssen. Man ist halt verdammt spät dran.
Wenn Hörl da recht hat, kommen auf die Tiroler Wirtschafts- und Sozialpolitik jedenfalls herbe Zeiten zu.
(Es könnte aber auch anders sein. Sind die Arbeitsplätze im Tiroler Wintertourismus für Tirolerinnen und Tiroler? Nur zum Teil. Wir importieren jeden Winter Saisonniers aus aller Welt, um den Ski- und den Après-Ski-Zirkus am Laufen zu halten. Laut Alfred Dorfer finde die Wiedervereinigung Deutschlands sowieso auf österreichischen Schihütten statt, wo westdeutsche Tourist*en von ostdeutschen Kellner*innen bedient werden.)
3. „Sollen wir jetzt vor Gram und Scham in einem Loch versinken?“
Mir ist es relativ egal, wie Franz Hörl persönlich die Klimakrise meistern wird. Zum „Grämen“ wird die Situation sicher werden; zum Schämen ist sie sowieso. Ob Hörl sich Löcher zum Versinken sucht oder auf die Malediven auswandert – er ist noch ein reicher Mann und kann sich verschiedene „Lösungen“ leisten. (Bei den Malediven muss er höchstens schauen, ob dieses hübsche „Loch“ nicht schon versunken ist, wenn er dort landen will.)
kurzsichtig
Die kollektive Kurzsichtigkeit der Politik und der Schitourismusmanager hat uns in eine Situation manövriert, in der „Schifoan des Leiwandste war“. Ja, man wird einen anderen „Wintertourismus“ erfinden müssen. Leicht wird das nicht, ohne Schnee und Eis. (Ja: auch die Gletscher schmelzen ab.)
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Aber vielleicht unterschätze ich ihn …
Franz Hörl beginnt bereits zu diversifizieren. Denn (laut profil): „Im Herbst hat Hörl der APA verraten, dass er in seinem Skigebiet drei Windräder errichten werde.“ (Das wären in Tirol die ersten.) Vielleicht verabschiedet sich Hörl bereits aus dem Wintertourismus und wird Energieproduzent? Wer weiß?