Gestern habe ich einen Film gesehen, in dem nur Männer vorkamen und in dem es praktisch keine Handlung gab: Ruth Beckermanns preisgekrönter Film „MUTZENBACHER“. Er läuft im Leokino.
Das setting
Männer verschiedenen Alters lesen aus dem Roman eine Stelle vor und sprechen dann mit der Regisseurin, deren Stimme aus dem Off kommt, über die Textstelle und über Sexualität überhaupt. Einige vertreten die Ansicht, der Text gebe reale Handlungen wieder. Einige bedauern, dass sexuelle Annäherung heute sehr schwierig sei, weil sie (oft zu) schnell als übergriffig verstanden werde. „Aufgelockert“ – wenn man so will – werden die individuellen Stellungnahmen durch Sprechchöre über Textstellen aus dem Roman.
Laut Regisseurin Beckermann haben Generationen von Kindern und Jugendlichen ihre sexuelle Aufklärung aus diesem Roman entnommen; der Roman begleite sie schon ein Leben lang – so sagt sie das in der Fernseh-Talkshow „Willkommen Österreich“ bei Stermann und Grissemann.
Die Wirkung?
Wenn das stimmt, dann haben Generationen von Kindern und Jugendlichen sexuelle Informationen aus der Sicht von Männern kennengelernt, vermittelt vorgeblich von einer ehemaligen Prostituierten. Sie haben gelernt, dass Männer und Frauen jederzeit „bereit“ sind. Wir haben eine männliche Sicht der Sexualität in der Stimme einer Frau. Das würde manches erklären: Sex mit Kindern ist in der Mutzenbacher gang und gäbe.
Viele ältere Männer, die Beckermann interviewt, bestätigen, dass sie über den Roman sexuelles Wissen erworben haben. Jüngere Männer kennen in aller Regel den Roman nicht mehr; sie melden sich aber zum Casting bei Beckermann, offenbar weil der Name Mutzenbacher noch nachwirkt.
*
Ich kann im Übrigen die Wichtigkeit der Quelle Mutzenbacher aus meiner Sicht nicht bestätigen; meine Quellen waren meine Eltern, ein katholisches Aufklärungsbüchlein und ein „Sexualkundeatlas“ meiner 8 Jahre älteren Cousine, die den als Schulbuch an der PädAk erhalten hatte. Ich habe den Roman erst viel später in die Hand bekommen – und kann auch die Einschätzung, er sei ein „Meisterwerk“, nicht nachvollziehen. Seiten- und kapitelweise die immer gleichen, nur leicht variierten Darstellungen immer gleicher sexueller Spielchen. Es ödet an. Gewiss: als Quelle für den erotisch-sexuellen Wortschatz des Wienerischen ist er unersetzbar.
Ich verstehe deshalb auch nicht wirklich, warum es für Ruth Beckermann wichtig war, diesen Film jetzt zu drehen. Ich glaube, Josefine Mutzenbacher ist fast schon tot. Sie stirbt den sanften Tod des Vergessens. Müssen wir sie retten? Ich glaube nicht.