Mit 65 geht der österreichische Beamte in Pension
Spätestens; er könnte evtl. auch schon früher. Im April bin ich 65 geworden; den Ehrgeiz, meine Dienstzeit zu verlängern, habe ich nicht. Also war heute, am 30. April, mein letzter Dienst-Tag; morgen, am 1. Mai, Staatsfeiertag und „Tag der Arbeit“ gehe ich in Pension.
Fast 11 Jahre lang war ich in der Leitung einer Schule beschäftigt: 5 Jahre als „Administrator“, fast 6 Jahre als Direktor. Ich habe beide Jobs sehr gerne gemacht. Ich habe bei meiner Amtsvorgängerin und bei meinem ersten Direktor einigen Einblick in den Direktorenjob bekommen – beide wurden mir in verschiedener Form Vorbilder. Ich habe in einer anderen Schule ein sehr gutes Beispiel für einen Administrator kennen gelernt, der viel Kommunikation leistete und ermöglichte und mir ein Bild des Jobs über das „Erstellen von Listen und Plänen hinaus“ eröffnete.
„Meine“ Schule ist wichtig
Meine Schule, das „Gymnasium für Berufstätige“ oder im Volksmund „Abendgymnasium“ ist eine sehr wichtige Schule, finde ich. Es ist eine Schule des Zweiten Bildungswegs, die Menschen eine Chance gibt, ihren persönlichen Weg zu einer breiten Allgemeinbildung bis zu einer Reifeprüfung zu gehen. Seit 2011 ist diese Schule „semestriert“ und „modularisiert“: sie denkt also nicht mehr in Schuljahren und Klassen. Sondern in Semestern (oder noch kürzeren Zeiträumen) und in sog. Modulen. Semester und Module ermöglichen den Studierenden individuelle Planungen in hohem Ausmaß. Es war mir sowohl als Administrator als auch als Direktor ein dringendes Anliegen zu demonstrieren, dass eine Schule ohne Schuljahre und Klassen, eine Schule, die (laut Gesetz) „individuelle Bildungslaufbahnen ermöglichen soll“, funktionieren kann.
Ich glaube, das ist gelungen.
Es ist aber wichtig, dass so eine Schule ein engagiertes Team aus Lehrer*innen hat und eine Leitung, die für so ein individuelles, modular-semestriertes Schulmodell kompetent ist. Ich glaube, wir haben das erreicht: ein Team aus ca. 50 (im Schnitt) überaus motivierten Lehrpersonen, denen ich nicht im Weg gestanden bin, sondern sie noch motivieren konnte.
Ich bin pensionsreif
Ich bin körperlich nicht mehr sehr mobil. 2016, als ich zum Direktor berufen wurde, brauchte ich noch keine Krücke. Heute gehe ich keinen Weg über 10 m ohne Krücke mehr. 2016 machte mir mein linker Fuß keine besonderen Schmerzen; heute tut es ab und zu echt weh. Mein Gesundheitszustand hat sich verschlechtert – das ist nichts Besonderes, das ist altersgemäß und normal.
Aber auch geistig hat meine Mobilität gelitten: ich habe einfach keine Lust mehr, mich in mir absurd erscheinende Dinge einzulesen. Es gibt da jetzt z.B. eine Art „Urheberrecht“ speziell für das Internet: „NFTs“ – „non fungible tokens“. Da wird wie bei Kryptowährungen unter hohem Stromverbrauch mit „blockchains“ eine Art Originalität hergestellt. Ich will das gar nicht mehr kapieren, mir geht das am A… vorbei. Vor einigen Jahren hätte ich mich da eingelesen und mir überlegt, ob das für uns als Schule relevant ist. Heute ödet mich so etwas nur an und der hohe Stromverbrauch bringt mich dazu, für ein Verbot (von „NFTs“ und Kryptowährungen überhaupt) zu plädieren.
Ich habe meine Schule in die „neue“, zentralisiert-standardisierte Reifeprüfung und durch Corona geführt. Wir haben das ganz gut geschafft. Unsere „Schulqualitätsmanagerin“ („Inschpektor“ gibts kan‘ mehr) hat uns sehr unterstützt, aber es kommen immer wieder Anwandlungen aus der schulischen Obrigkeit – aus Bildungsministerium und Bildungsdirektion, denen ich mich einfach nicht mehr aussetzen will. Meine geistige Mobilität will da nicht absurde Dinge in x-facher Wiederholung absolvieren.
Abschiede
Ich musste mich natürlich verabschieden. Von den Studierenden und von den Lehrenden. Es sind als Rundmails 2 sehr ähnliche Schreiben geworden – aber natürlich nicht gleich. Wenn man eine vergleichende Textanalyse betreiben will – hier das Material dazu:
An die Studierenden, am 23.4., „Ich darf mich verabschieden …“:
Liebe Studierende!
Ab morgen bin ich bis Mittwoch bei der Arbeitstagung der Abendgymnasien Österreichs – ja, es ist noch was zu tun; am Donnerstag und am Freitag habe ich wichtige Termine, deren Dauer ich nicht bestimmen kann. Ich werde in der nächsten Woche also nicht viel Zeit für Sie haben. Es ist also nach knapp 6 Jahren Tätigkeit als Direktor der Schule an der Zeit, mich von Ihnen zu verabschieden.
Ich habe diesen „Job“ sehr gerne gemacht: wir sind als Schule der Zweiten Chance eine sehr wichtige Schule, die viele Begabungen weckt und entwickelt und viele Studierende ans Ziel Reifeprüfung bringt. Sie sind nicht unsere „Kunden“ – denn sonst müssten Sie ja etwas bezahlen; nein: wir versorgen unseren Kunden, das ist die Republik Österreich, mit begabten und gescheiten jungen (oder gar nicht mehr so jungen) Menschen. Die Republik braucht diese Menschen, denn es kommen große Herausforderungen auf die Gesellschaft zu. Es ist ein wichtiger Job, diese komplexe, semestrierte und modularisierte Schule so zu leiten, dass Sie einen guten Weg zur Reifeprüfung finden. Das hat mir sehr viel Freude bereitet; ich habe in Ihnen viele engagierte, begabte, kluge, vife Menschen kennen gelernt und es war mir sehr oft eine Freude, mit Ihnen zusammen zu arbeiten.
Nicht alles im Job war schön: die letzten 2 Jahre waren durch Corona sehr mühsam für uns alle, auch für mich, der ich plötzlich Entscheidungen über das Umgehen mit einer Pandemie und über die Gesundheit von einzelnen und vielen zu fällen hatte. Dieser Teil des Jobs wird mir nicht fehlen; da bin ich froh, dass ich endlich dieser täglichen Verantwortung entkomme.
Ich hatte die nicht ganz leichte Aufgabe, die Schule in die Zentralmatura und durch Corona zu führen. Dass wir dieses Sommersemester wieder mit über 800 Studierenden beginnen konnten, zeigt, dass uns die Arbeit im Großen und Ganzen gelingt. Wir sind – etwa mit Graz – das zweitgrößte Abendgymnasium Österreichs und wir gehören zu den größten Gymnasien Tirols – das größte Oberstufengymnasium Tirols sind wir sowieso. Das ist nicht meine Leistung: das ist die Leistung eines sehr engagierten Lehrkörpers, der mich in meiner Arbeit sehr unterstützt hat. (Oder wars umgekehrt? Hab ich mit meiner Arbeit die engagierten Lehrer*innen unterstützt? Oder haben wir alle Sie in Ihrer Arbeit und in Ihrem Fortkommen unterstützt? Anyway …)
Ich übergebe die Schlüssel der Direktion bald an meine Nachfolgerin, Prof. Annegret Scheuringer. Ich weiß die Schule bei ihr in besten Händen; „mein“ Administrator, Prof. Lukas Bittner, der hervorragend mit mir zusammengearbeitet hat, steht in dieser wichtigen Funktion weiterhin zur Verfügung.
Ich wünsche Ihnen allen viel Erfolg und viel Freude an der Bildung, die Sie an der Schule bekommen können. Nützen Sie im Interesse aller die Chancen, die sich Ihnen bieten werden.
michael bürkle
An die Lehrenden, am 28.4., „Abschied“:
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Ich muss mich von Euch verabschieden. Es ist Zeit für einen Direktorenwechsel: ich bin physisch nicht mehr sehr mobil: mein Gesundheitszustand lässt nach. Ich bin auch psychisch-mental nicht mehr so mobil: mir gehen manche Entwicklungen, die uns als Schule auch betreffen, auf die Nerven und ich will da gar nicht mehr alles mitmachen. (Blockchain-Technik für die Erzeugung von Krypto-Geld oder quasi-Urheberrecht ist wider alle Vernunft und Ökologie und unverantwortlich; ich will mich gar nicht um „Präsenzen“ in den (a-)sozialen Medien kümmern müssen; mir gehen manche Anwandlungen der Obrigkeit fürchterlich auf den Keks usw. Dabei haben wir mit unserer „direkten Obrigkeit“ eh sehr großes Glück gehabt.)
Ich werde Euch als Menschen und Kommunikationspartner*innen vermissen: viele von Euch sehr und empfindlich! Ihr habt mich durch fast 6 Jahre Direktion durchgetragen und mich sehr unterstützt. Ich hab den Job als Direktor in Summe sehr gern gemacht: wir sind eine sehr wichtige und eine ziemlich komplexe Schule und es ist sehr wichtig für unsere Studierenden, dass diese Schule eine gute Leitung hat. Ich habe mich jedenfalls bemüht; es ist mir trotzdem lange nicht alles gelungen. Ich wäre gern als „großer Schulentwickler“ in die Geschichte eingegangen: da standen aber zu viele Hindernisse dagegen. Ich habe uns in die neue Reifeprüfung und durch (das bisherige) Corona geführt: das ist auch etwas. Dass wir z.B. unsere Studierendenzahlen gehalten haben, ist ein gutes Zeichen.
Manche Aspekte des Direktorenjobs werde ich allerdings nicht vermissen: da freue ich mich auf neue Freiheiten und atme auf!
Ihr habt als gesamter Lehrkörper extreme Stärken. Ich sehe Euch in Summe als unglaublich motiviertes Team mit vielen Kompetenzen, gerade auch Leitungskompetenzen, auch bei jungen. (Ich habe das z.B. mit den Direktoren-Fotos versucht zu verbildlichen.) Wenn ich Vertretungen für mich als Direktor bei der Matura gesucht habe: Ihr wart da. Wenn es für diverse Funktionen Personal oder persönlichen Einsatz gebraucht hat: Ihr wart da. Vieles hat sich scheinbar „von selbst erledigt“. Ich musste (praktisch) nie „betteln“ oder anordnen. Insofern war es sehr oft geradezu ein Vergnügen, bei Euch Direktor zu sein. Ich bitte Euch, Annegret als meiner Nachfolgerin dieselbe Teamfähigkeit zu zeigen. Ein Direktor, eine Direktorin alleine kann ohne seine / ihre Lehrer*innen nicht viel bewirken: alleine kann man höchstens im Weg stehen. Im Weg stehen wollte ich nie: ich glaub, es ist mir manchmal sogar gelungen, Wege zu öffnen.
Ich bin nicht aus der Welt, sondern am Palmenstrand, und ich habe noch einiges vor. Man sieht sich – jedenfalls freue ich mich darauf.
Schöne Grüße
michael
In der Sänfte …
Gestern, am 29.4., veranstaltete die Personalvertretung sogar noch ein Abschiedsfest in der Schule. Ich wurde mit einer Sänfte in der Direktion abgeholt und per Sänfte in die Arena getragen. Zum Abschied konnte ich noch meiner Nachfolgerin ihre Ernennungsurkunde zur Oberstudienrätin überreichen. Dann noch meine eigene Ernennungsurkunde zum Oberstudienrat: die musste, durfte, konnte ich mir selbst übergeben – da war niemand „von oben“ da. Aber man möge da keine historischen Beispiele bemühen …
Aufgrund der Uhrzeit (4:40) bin ich jetzt möglicherweise einer der ersten, also: Alles Gute für die jetzt kommende (und hoffentlich) längste Dienstfreistellung deines Lebens! 🙂 Ich hoffe und wünsche dir, dass dein Ruhestand (in Pension gehen dürfts ihr armen Beamten ja nicht, sondern ihr bleibt ja Beamte und werdet nur „in den Ruhestand versetzt“) in angenehmen Ausmaßen ein „Unruhestand“ sein wird, d.h. dass du ausreichend Dinge findest, damit dir nicht fad wird. Und: *Zaunpfahl auspack und damit herumwedel* Vielleicht hast ja mal Zeit, dass wir uns (gerne auch öfter) auf einen Kaffee oder ein Bier treffen können, um gelegentlich über… Mehr »