michael bürkle

texte … zu bildung, politik und ähnlichem und die einladung zur diskussion …

Michael Bürkle

Schulen schließen? Nein! Doch! …

In Österreich sind die Zahlen der Neuinfektionen mit Covid-19 so hoch, dass als ultima ratio die „Schließung der Schulen“ diskutiert wird. Das Bildungs- und das Gesundheitsministerium sind (noch!) dagegen; das Institut für Höhere Studien errechnet einen Verlust von „über 2 Milliarden Euro“ pro Lockdown-Monat. (Eine im Übrigen völlig unseriöse, aus den Fingern gesogene Zahl.)

Die Diskussion ist unehrlich und dumm. Es geht nicht darum, ob Schulen geschlossen werden oder nicht. Es geht nicht einmal darum, welche Schulen geschlossen werden oder nicht. Es geht darum, in welcher Form für wen welcher Unterricht angeboten wird.

Das Abendgym als Beispiel

Unsere Schule – das Abendgymnasium Innsbruck – ist derzeit „geschlossen“. Aber das stimmt ja gar nicht: das Schulhaus ist offen. Jeden Tag kommen Menschen und wollen sich anmelden. Und der Direktor ist da, das Sekretariat ist besetzt. Aber der Unterricht findet zum größten Teil „ortsungebunden“ statt, also als „distance learning“. Aber er findet statt: stundenplangemäß; die Lehrpersonen kommen über Video ins Wohn- oder Arbeitszimmer ihrer Studierenden. Der Unterricht ist sehr gut besucht, besser als oft im sogenannten „Präsenzunterricht“. Unsere Studierenden haben verstanden, dass das jetzt die für uns zeitgemäße und richtige Lösung ist, dass es auch eine Riesenchance ist, nicht in die Stadt zu müssen, sondern Unterricht nach Hause geliefert zu bekommen. „Mein Schulweg ist nicht mehr 30 km, sondern nur mehr 3 Meter“, hat das ein Studierender zusammengefasst.

In der ersten Phase des Semesters hatten wir noch Präsenzunterricht und haben erfolglos bei der Behörde ortsungebundenen Unterricht beantragt. Die Ampelfarbe war ringsum „Orange“; für die Schule war „Gelb“ verordnet. Man hat uns nicht gehört; man wollte uns nicht hören. In dieser Zeit hat es bei uns nach und nach 15 positiv getestete Studierende gegeben – und jeder dieser Fälle führte zu einer langen Liste von Kontaktpersonen, zu Testungen und zum Verweis in Quarantäne – für Lehrende wie Studierende; zu plötzlichem Stundenentfall generell, weil die Lehrperson nicht unterrichten durfte, oder zu Stundenentfall individuell, weil Studierende nicht ihre Wohnung verlassen durften. Es war ein löchriger, ein höchst unzuverlässiger Stundenplan. Und außerdem war schnell ersichtlich, dass die Gesundheitsbehörden massiv überfordert waren: sie kamen mit Testen und dem Verständigen von Testergebnissen hinten und vorne nicht nach.

Jetzt ist das nicht mehr so. Wir haben das Schulhaus „geschlossen“, aber wir haben mit dem ortsungebundenen Unterricht Unterricht gesichert und damit im höheren Sinn die Schule für regelmäßigen Unterricht geöffnet.

Ja, das machen Universitäten ähnlich.

Welche Schulen schließen?

Zunächst einmal ist es dumm, von „den Schulen“ zu sprechen: es gibt verschiedene. Volks- und Mittelschulen für Kinder; die Sekundarstufe 2 für Jugendliche zwischen 14 und 2o; es gibt Schulen für Erwachsene – z.B. wir: das Abendgymnasium Innsbruck.

Dann: es ist dumm, vom „Schließen“ zu reden. Ortsungebundener Unterricht / distance learning kann eine hervorragende Alternative sein. Und ich wehre mich dagegen, dass eine Schule, die ortsungebunden unterrichtet, als „geschlossen“ bezeichnet wird. Das ist sie nicht! Das ist falsch, und viele, die das so sagen, könnten wissen, dass es falsch ist.

Es ist grandios dumm, alle Schulen gleich behandeln zu wollen.

Schulen für Erwachsene sollten derzeit nicht im Präsenzunterricht geführt werden: Präsenzunterricht gefährdet die berufliche Existenz unserer Studierenden. Wir haben 15 nachgewiesene Corona-Fälle gehabt (mittlerweile sind es 17), aber kein Mensch weiß, wie viele asymptomatische Fälle wir gehabt haben. Arbeitgeber haben unsere Studierenden aufgefordert, nicht mehr in die Schule zu gehen, weil sie von dort in die Firma Infekte einschleppen könnten: sie haben ihnen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht. Wir haben Studierende in systemrelevanten Berufen: die müssen jedes Infektionsrisiko vermeiden.

Unsere Studierenden können durch ortsungebundenen Unterricht / „distance learning“ den Stoff (fast) genau so bewältigen – und manchmal sogar besser. Für die Studierenden, die im distance learning Probleme haben – ja, die gibt es; das wissen wir – richten wir Präsenz-Förderkurse in kleinen Gruppen ein.

Schulen für Kinder können nicht einfach auf distance learning umgestellt werden. Nur sehr wenige 6-, 10-, 12-jährige können oder wollen einem ortsungebundenen Unterricht folgen; die Präsenz einer Lehrperson hat nicht nur mit Wissenserwerb zu tun, sondern auch mit Persönlichkeitsbildung, mit sozial-emotionaler Auseinandersetzung. Das kann man nicht einfach online machen – oder es ist jedenfalls sehr schwierig.

Und Schulen für Jugendliche? Sekundarstufe 2, Alter 14 bis 20? Da geht schon recht viel online – und es hängt sehr von der Motivationslage der jungen Leute ab, wie viel da geht. Die sind sehr verschieden: manche noch sehr kindlich oder kindisch, manche schon recht erwachsen. Da ist es schwierig und es erfordert genaue Lösungen.

Mein Vorschlag

Ich würde Schulen für Erwachsene sofort in den ortsungebundenen Unterricht schicken. Die Schule ist dann nicht zu: sie ist für Unterricht sehr viel offener als sie es mit einem virendurchlöcherten Präsenzunterricht wäre.

Ich würde Schulen für Kinder möglichst lange „offen“ halten. Es spricht nur wenig dagegen. Kinder bekommen Kontakt mit Gleichaltrigen; sie lernen etwas von Menschen, die den Stoff verstehen – also nicht unbedingt von fachlich und didaktisch überforderten Eltern. Die Eltern können dann arbeiten gehen; eine Schließung der Schulen für Kinder würde Eltern vom Arbeitsplatz abziehen und viele Betriebe gefährden. Die Schließung der Volksschulen führt entweder direkt zum totalen Lockdown oder ist nur bei einem totalen Lockdown sinnvoll.

(Etwas aber spricht schon dagegen: Auch in Schulen für Kinder gehen Erwachsene, die sogenannten „Lehrerinnen“ oder „Lehrer“. Und wenn die sich anstecken, ist nicht viel gewonnen. Vielleicht sollte man manchmal auch an diese Lehrpersonen denken.)

Und die Schulen dazwischen? Die für Jugendliche? Da hängt es von vielen Faktoren ab. Ich sehe da viel Spielraum auch für Schulautonomie. Da kann es Mischformen von Präsenzunterricht und ortsungebundenem Unterricht geben. Das kann für verschiedene Klassen verschieden sein; das kann in verschiedenen Wochen verschieden sein. Hier braucht es flexible Lösungen. Und Schulautonomie. Hier braucht es vielleicht „Fernunterricht“, aber nicht nur als distance learning, sondern als Teilung des Unterrichts in Sozialphase und Individualphase – so wie wir das schon seit Jahrzehnten am Abendgymnasium machen, auch wenn nicht gerade Corona ist.

Ein altes Problem neu

Die „Langform“ des Gymnasiums ist eine Schulform für Menschen zwischen 10 und 20. Das ist an sich ein Unding, ein Unfug; das führt zu sehr vielen Problemen. Man sollte diese Schulen aufteilen: in eine „Unterstufe“ und eine „Oberstufe“ – und jede sollte eine eigene Schule sein. Wir haben dann: Volksschulen, Mittelschulen, Oberstufenschulen.

Zu Corona-Zeiten stellt sich diese Langform des Gymnasiums, die von vielen (eher) Konservativen als Ideal verkannt wird, als zusätzliches Problem dar. Man kann eben nicht gut 12-jährige in die Schule holen und ihnen Präsenzunterricht anbieten und 5 Minuten später 15-jährige im distance learning unterrichten. Das geht nicht – oder nur sehr schwer und nur mit bester EDV-Ausstattung. Unsere EDV-Säle sind für distance learning meistens nicht geeignet und es sind zu wenige. Da braucht es Medienlabore. Hat die wer in ausreichendem Ausmaß?

Und der Minister?

Minister Faßmann spricht davon die Schulen um jeden Preis offen zu halten. Er differenziert nicht, er simplifiziert. Und heizt damit wirre Diskussionen um unklare Dinge an.

Seine Aufgabe wäre eine gegenteilige.


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