michael bürkle

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Michael Bürkle

VWA: Reformbedarf, aber wirklich!

Ich habe vor einigen Tagen im Bereich dessen, was im Rahmen der „neuen, zentralisierten, standardisierten“ Reifeprüfung „Vorwissenschaftliche Arbeit“ genannt wird, auf der Basis eigener Erfahrung mit ca. 50 solcher Arbeiten einigen Reformbedarf geortet. Eine liebe Kollegin, die auch mit der Betreuung von VWAs beschäftigt ist – allerdings nicht in Tirol, hat mich aufgeklärt: es ist schlimmer!

Sie schreibt:

Und was du über deine Beobachtungen / Vorsitz der VWA-Präsentationen schreibst glaube ich sofort. Ein Aspekt, der mir da noch fehlt, ist die Tatsache, dass Arbeiten, die von „dritten“ abgefasst wurden (also quasi Auftragsarbeiten) ganz geschmeidig durch dieses System rutschen.

Ich habe bisher keine direkten Erfahrungen mit ghostwritern gehabt, keine konkreten Verdachtselemente – aber ich habe wahrscheinlich falsch geschaut. Ja, tatsächlich hatte es einige Arbeiten gegeben, für die kein konkreter Herstellungsablauf nachweisbar war; für die kaum Kontakte zwischen VWA-SchreiberIn und BetreuerIn belegt waren, für die es kein nachvollziehbares Arbeitsprotokoll gab.

Und tatsächlich findet man mit einer kleinen Internet-Recherche zu den Schlagworten „vwa ghostwriter“ eine ganze Menge von Einträgen: 22.700;  es gibt da – vielleicht noch keine „Industrie“, aber doch – ein offensichtlich florierendes Gewerbe. Man wirbt mit Slogans wie „diskret und sicher“, „diskret und legal“ – und tatsächlich ist die Arbeit der ghostwriter legal: sie schreiben ja nur einen „Vorschlag“. Illegal ist es nur, diesen Vorschlag dann als eigene Arbeit abzugeben.

Nach einem Artikel von Tanja König auf www.tips.at (Ghostwriting boomt – auch bei Maturanten) schätzt der Präsident des Bundeselternverbands Gernot Schreyer, dass „ein Drittel bis ein Viertel [sic!] aller Maturanten ihre Arbeiten nicht selbst bzw. nicht vollständig selbst erstellen“. Dass akademisch versierte Eltern ihren Sprösslingen unter die Arme greifen, ist verständlich und kaum zu verhindern; wer keine akademisch versierten Eltern hat, erbt Bildung eben nicht so leicht und muss womöglich Geld investieren.

how much?

A propos Geld: wie viel kostet so etwas? Die Preisvorstellungen im Internet differieren. Man liest von 25 € pro Seite (eine 40-seitige VWA ist dann um ca. 1.000 €  zu haben), ein Linzer Anbieter (mit Doktorat!) verlangt 70 € für die Seite VWA, 75 € für eine Seite einer Bachelorarbeit und 80 € für eine Seite einer Master- oder Doktorarbeit. Aber alle AnbieterInnen, die ich angeklickt habe, lassen mit sich reden und bleiben „diskret“.

Was sagt eine ghostwriterin zu VWAs?

Die vorwissenschaftlichen Arbeiten sind ein vollkommener Blödsinn. Es bringt nichts, dass man Schüler dazu zwingt, sich pseudowissenschaftlich zu betätigen. Das lenkt sie nur vom Lernen ab.

So zitiert profil bereits am 1.3.2017 eine ghostwriterin: Anna Derndorfer, eine ehemalige Lehrerin, die nun in Linz eine Schreibagentur betreibt.

*

Meine eingangs zitierte liebe Kollegin meint, ich solle mit den Schwächen der Arbeiten, die ich geortet habe, noch froh sein: „Und da ist mir fast noch ein persönlicher Versuch mit den Erzengeln lieber …“

*

Ist das Konzept VWA noch zu retten? Ich denke nicht: nicht aufgrund eigener Erfahrungen und nicht aufgrund fremder. Auch eine gewissenhafte Prüfung von Arbeitsprotokollen und Produktionsschritten hilft nicht: Arbeitsprotokolle und Zwischenergebnisse nach Produktionsschritten bieten die ghostwriter mittlerweile ebenfalls.

Die Rückkehr zur FBA als Option für Interessierte würde dem Massenmarkt VWA den Zufluss abgraben; die FBA – eine Arbeitsform für relativ wenige, wirklich interessierte und engagierte Schülerinnen und Schüler – hat eine tatsächliche Arbeitsbeziehung zwischen SchreiberIn und BetreuerIn ermöglicht; und sie hat vermieden, dass junge Menschen bereits in der Schule lernen, Wissenschaft zu faken.


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[…] fordere ich – m.E. bestens begründet! – seit Jahren: z.B. am 14.4.2019, am 22.4.2019, am 13.2.2024 oder am 10.5.2024. Allerdings habe ich für den Befund, dass die VWA in der geltenden […]

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