Österreich hat sich nicht für die Fußball-WM in Russland qualifiziert. Aber das macht nichts. public viewing boomt: an jeder größeren Straßenecke (leicht übertrieben) stehen riesige Bildschirme und das Geschäft rennt. Im (gar nicht sooo) alternativen Kulturzentrum bespielt ebenfalls ein lauter Großbildschirm einen ganzen Garten und der Konsum ist gesichert.
Dabei geht uns diese Weltmeisterschaft doch gar nicht so viel an. Und überhaupt: in Russland? Einer der letzten Diktaturen in Europa? (Oder ist es bereits eine Demokratur?)
Fakten sind super!
Ich denke, was den Fußball (und andere Sportarten) so attraktiv zum Zuschauen für viele Menschen macht, sind „echte Gefühle“. Wir sehen große Bilder von Menschen im Triumph, in Erregung, in Wut, in maßloser Enttäuschung. Und es ist glaubwürdig, dass das „echt“ ist. Da hat einer ein Tor geschossen und jubelt: seine Faust fährt nach oben, sein Mund ist weit aufgerissen, und seine Mannschaftskollegen fallen in einer Menschentraube über ihn her. Da ist einer gefoult worden und sieht sich um eine Chance gebracht und ist wütend: auf den Gegenspieler, auf den Schiedsrichter: er gestikuliert, er brüllt. Da greift einer daneben, der Ball ist im Tor und seine Chance auf ein Achtelfinale und auf eine kleine Karriere sind dahin. Er sitzt da: (nicht nur wie) ein Häufchen Elend. Triumph und Tragik liegen direkt beieinander und sind in den Gesichtern direkt ablesbar. Da kann nichts gespielt sein. Das ist echt. Das sind Fakten. „2:1“ – ein klar nachvollziehbarer Fakt.
In einer Gesellschaft, in der wirkliche, sichere Fakten rar geworden sind, ist das einfach, bestärkend, sicher. Solide. Man muss sich mit den Regeln des Sports gar nicht so sehr auskennen: die Bilder überzeugen.
(Dass Triumph und Tragik unter Umständen noch am selben Abend in nüchterne Abgeklärtheit münden, gehört auch dazu.)
Fakten sind super. Gefühle sind super. Fakten von Gefühlen sind noch superer.
Die Faktenpause: Fake
Ein Fußballspiel hat zwei Halbzeiten und dazwischen eine Pause. In dieser Pause sendet der ORF (neben sogenannten „Analysen“) Werbespots von 20-40 Sekunden Dauer. Ich habs gezählt: neben Diversem (die üblichen Getränke usw.) laufen da in einer einzigen Pause Werbespots von 5 verschiedenen Wettbüros: interwetten; bet-at-home; tipico; win2day; bwin. Ich bekomme eine Ahnung, wie viel Geld hier mit den Fakten aus dem Fußball verdient werden kann.
Die Wettanbieter haben ihre Firmensitze auf Malta (zwei davon) und auf Gibraltar, aber auch in Österreich als Tochterunternehmen der Casinos Austria. Kann man da von vornherein und a priori „Steuerschonung“ im großen Stil unterstellen? Ist ein öffentlich-rechtlicher Sender auf dieses Spielgeld angewiesen? (Ja. Offensichtlich.)
Man kann auf alles wetten. Auf den Spielausgang. Auf ein Halbzeitergebnis. Auf den Schützen des ersten Tors. Es gibt immer sichere Gewinner: die Wettbüros. Und es gibt in der Summe sichere Verlierer: die Spieler, denen man vorgaukelt, ihre Wettleidenschaft sei ein Sport: „Wetten ist unser Sport“. Wenn man sich vorstellt, wie viel ein Werbespot von 30 Sekunden zur besten Sendezeit kostet, kann man erahnen, wie viele Menschen hier täglich an der Nase herumgeführt werden.
Wir wissen aus der österreichischen Bundesliga – die ihren Namen bereits selbst an ein Wettbüro verkauft hat: sie heißt bereits „tipico Bundesliga“ – wie leicht es ist, Spiele, auch nur Teilaspekte von Spiele zu faken. Ich kann natürlich nicht beweisen, dass auch bei der WM in Russland Spiele geschoben werden – aber schwierig wäre es nicht. Geld ist genug im Spiel.
Die erfolgreichsten Lügen sind die Halbwahrheiten. Die erfolgreichsten Fakes beruhen auf „Facts“.