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Michael Bürkle

„Die Befürchtungen bestätigt sich nicht“

Ich kenne einen jungen Mann, der sich auf Deutsch sehr gut verständigen kann. Er ist äußerst kommunikativ, er kann gut Witze erzählen, er plaudert gern. Dass seine Muttersprache Türkisch ist, ist an keinerlei Akzent zu bemerken.

Ich kenne ihn schon seit einigen Jahren und in der ganzen Zeitspanne versucht er schon, „die Matura“ zu machen. Was er macht, sind Vorbereitungskurse für die sogenannte „Berufsreifeprüfung“. Ich hab ihm zwar schon einmal, zweimal den Vorschlag gemacht, doch besser das Abendgymnasium zu besuchen, aber es ist immer irgendwie gescheitert. „Dauer zu lang“ hieß es von ihm selbst; „derzeit kein Platz“ hörte er auch schon aus der Direktion (aber nicht aus meiner).

Exkurs: Berufsreifeprüfung und Matura

Die Berufsreifeprüfung ist keine Matura; die Gleichsetzung stimmt einfach nicht. Die Berufsreifeprüfung besteht aus 4 Prüfungen (D, E, M und ein „Fachbereich“); die Matura besteht aus 7 Prüfungen und einem ganzen Studium davor, das am Abendgymnasium im Normalfall (mit nicht mehr als einem Pflichtschulabschluss am Anfang) 8 Semester dauert.

Die Berufsreifeprüfung setzt eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus, das Abendgymnasium nicht – sondern nur Pflichtschulabschluss und Mindestalter 17. Die Berufsreifeprüfung ist zwar durch österreichische Gesetze innerhalb Österreichs der Matura gleichgestellt – aber das gilt nicht außerhalb der Staatsgrenzen.

Die Berufsreifeprüfung kann in Vorbereitungskursen, die an privaten Institutionen abgehalten werden, vorbereitet werden. Eine Vorbereitung ist nicht Pflicht. Die Kurse privater Institutionen kosten Geld, und zwar nicht zu knapp. Das Abendgymnasium ist als Bundesschule kostenlos.

Der junge Mann

Warum arbeitet der junge Mann aus der Türkei schon jahrelang erfolglos an der Berufsreifeprüfung? Weil er – wie gesagt – sich auf Deutsch sehr gut verständigen kann. Zu gut! Er kann alles kommunizieren, was er sagen will: aber nur mündlich. Jeder seiner Sätze, buchstäblich jeder enthält mehr oder weniger schwerwiegende Grammatikfehler. Der Titelsatz ist ein Beispiel.

Diese Fehler stören mündlich die Kommunikation keineswegs. Schriftlich bringen sie jeden seiner Texte um. Und weil er im Alltag keinerlei Schriftlichkeit benötigt, hat er im Alltag auch kein Bedürfnis und spürt auch keine Notwendigkeit, gutes „schriftliches Deutsch“ zu lernen.

Im Rahmen der jahrelangen Vorbereitungskurse zur Berufsreifeprüfung wurde er immer wieder von oft wechselnden, sich zum Teil widersprechenden Lehrpersonen auf die Prüfung hingedrillt. Man vermittelte ihm Rezepte: zum Teil widersprüchliche. Es gab keine wirkliche Kontinuität in der Ausbildung.

Der junge Mann braucht aber eine kontinuierliche Ausbildung in Deutsch – und in Englisch übrigens auch, die ihn Schritt für Schritt in immer bessere Satz- und Textkonstruktionen führt. Er braucht keinen Drill zur Prüfung, sondern ein Training in Stufen. Klar braucht das Zeit. Dieses Training, diese Zeit kann ihm nur eine Schule bieten, in der die Lehrkräfte nicht dauernd wechseln, in der Stufenziele formuliert sind (in einem Lehrplan), in der systematisch Schreibanlässe mit steigender Komplexität geboten werden. Keine Schnellsiederkurse – und die über Jahre, sondern sprachliche Gründlichkeit in 8 Semestern. Unter Umständen etwas schneller.

„Die Befürchtungen bestätigt sich nicht“

Heute hat der junge Mann diesen Satz zu mir gesagt: ich hab genau gewusst, was er sagen will, und es war nur ein Satz unter vielen fehlerhaften. „Die Befürchtungen“ ist Plural (Mehrzahl), „bestätigt“ ist Singular (Einzahl). Das geht nicht zusammen. Mündlich ist das egal, schriftlich im Einzelfall auch, aber in der Häufung letal.

Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass der Satz nicht stimmt. Nach kurzem Nachdenken fiel ihm die entsprechende Grammatikregel (Subjekt und Prädikat müssen im Numerus übereinstimmen) auch ein. Er wäre dann bereit gewesen, auf „Die Befürchtung bestätigt sich nicht“ umzuformulieren – beides im Singular. Das wäre auch grammatisch korrekt, aber pragmatisch fragwürdig. Ich habe den Satz noch nie im Singular gehört. Wenn „sich“ etwas nicht bestätigt, geht es um Regelhaftes, um immer wieder Vorkommendes. Also um Plural, nicht um Singular.

(Übrigens hat der junge Mann aus einem sprachpragmatischen Standpunkt betrachtet gar nicht so unrecht. „Die Befürchtungen“ ist zwar Plural, aber als eine Art Sammelbegriff natürlich so was wie ein Ding. Das erklärt seinen Fehler.)

Für solche Dinge reicht Drill auf eine „BRP“ nicht aus. Das braucht systematischen Sprachaufbau. Ja, der braucht Zeit und Gründlichkeit.

Das gilt übrigens nicht nur für Menschen türkischer Muttersprache. Das gilt auch bei Muttersprache Deutsch.

Berufsreifeprüfung am Abendgymnasium?

Die Berufsreifeprüfung kann man an sogenannten „Maturaschulen“ vorbereiten. An Maturaschulen macht man keine Matura, sondern absolviert kostenpflichtige Vorbereitungskurse. Die wiederum kostenpflichtigen Prüfungen macht man dann anderswo.

Kann man am Abendgymnasium nicht auch eine BRP ablegen? Das Abendgymnasium ist ja auch „Prüfungsschule“ für die BRP.

Naja: unser Ziel ist eigentlich eine Vollmatura, eine vollwertige Reifeprüfung, keine „schmale“ BRP. Wir bieten keine Schnellsieder-Drill-Kurse auf eine BRP an.

Aber man kann bei uns systematisch bis zu 8 Semester lang sehr gründlich Deutsch, Englisch und Mathematik lernen. Wenn man diese Module absolviert hat, kann man dann in diesen Fächern zu einer sogenannten „vorgezogenen Teilreifeprüfung“ antreten.

Das ist dann noch keine richtige „Matura“, denn für eine Matura braucht’s – wie gesagt – mehr. Noch mindestens 4 Prüfungen und davor viel Unterricht in allen allgemeinbildenden Fächern. Aber man könnte sich diese 3 „vorgezogenen Teilreifeprüfungen“ für eine BRP anrechnen lassen. Das wäre dann ein kostengünstiger, gründlicher, systematischer Weg zu drei Vierteln einer Berufsreifeprüfung. Das vierte Fach – das berufsbezogene – muss dann woanders abgelegt werden.


Lit.:  „Berufsreifeprüfung“ – was ist das?


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