Gestern hatte ich ein Gespräch mit einer hochgeschätzten Kollegin. Sie wollte die Grünen wählen. Sie bedauert den Abgang von Glawischnig und Pilz, aber sie wäre bereit gewesen, trotzdem für die Grünen zu stimmen. Auch sie findet es grundsätzlich wichtig, dass Grüne im Parlament sind.
Aber nach dem Slogan „Sei ein Mann. Wähl eine Frau“ sei für sie eine Stimme für die Grünen nicht mehr möglich.
Die Kollegin ist aus meiner Sicht „Feministin“; sie setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung von Frau und Mann ein; sie ist ein ausgezeichnetes Beispiel einer selbstbewussten, ihre Arbeitswelt aktiv gestaltenden Frau; sie lässt sich von Männern nicht in ein Eck manövrieren und stellt – „ihren Mann“, nein: „ihre Frau“, nein: „ihren Menschen“.
Was passiert hier?
Ein kleiner Exkurs
1986 wurden die Grünen gegründet. Damals mit den Grundwerten ökologisch, solidarisch, basisdemokratisch, gewaltfrei. Ökologiebewegung (z.B. Hainburg 1984), Frauenbewegung, basisdemokratische Initiativen an den Universitäten und die Friedensbewegung hatten sich gesammelt und verschafften sich einen „parlamentarischen Arm“.
Dieser ist auch heute noch dringend nötig. Oder zumindest wäre er es.
15 Jahre später, 2001, wurden diese Grundwerte in einem neuen Grundsatzprogramm durch selbstbestimmt und feministisch ergänzt. Ich war damals dabei; ich habe letztlich mit einigem Bauchweh sogar für diese Erweiterung gestimmt. Heute sehe ich das als fundamentalen Fehler.
selbstbestimmt war sowieso nie nötig; es war eine Ansage gegenüber einem aufkommenden neuen Liberalismus, den man als Stimmenpotenzial wahrnahm. Aber was soll denn selbstbestimmt wirklich leisten? Es soll Kleinunternehmer anziehen und die Grünen für diese wählbar machen. Ich denke, ein Kleinunternehmer, der sich von solidarisch und ökologisch nicht repräsentiert fühlen kann, ist nicht wirklich grün: selbstbestimmt oder nicht. selbstbestimmt im engen Sinn ist sowieso ein Widerspruch zu solidarisch.
Und feministisch? Offensichtlich der Versuch, eine sich zuspitzende Frauenbewegung stärker an die Grünen zu binden. Oder die Grünen an eine sich zuspitzende Frauenbewegung? Ja, in der Forderung nach Gleichberechtigung geht es nicht rasend schnell vorwärts. Unsere Gesellschaft ist immer noch von patriarchalen Strukturen durchzogen. Wir könnten schon viel weiter sein.
Ich denke, bei feministisch liegt ein grundsätzliches Missverständnis vor. Der Grundwert ist nicht Feminismus, der Grundwert muss Gleichberechtigung sein. Das ist ein Teil von Solidarität. Feminismus kann eine vernünftige Strategie sein, um Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen. „Positive Diskriminierung“ (die Bevorzugung gleich qualifizierter Frauen gegenüber Männern) kann ein richtiger Schritt sein – aber auch ein falscher. Aber feministisch als Grundwert? Das ist Unsinn. Das verengt die Sicht, das raubt notwendige Perspektiven, sowohl bei FunktionärInnen als auch bei WählerInnen. Das verzerrt Wahrnehmung.
„Sei ein Mann …“
Zurück zum Wahlkampfslogan „Sei ein Mann. Wähl eine Frau“.
Den können gerade Feministinnen, bewusste, aktive Frauen, als Provokation verstehen. Ja, man(n) soll Frauen wählen. Aber doch nicht, weil sie Frauen sind. Sondern weil sie (genau so oder mindestens so) kompetent sind. Eine kompetente Frau will nicht gewählt werden, weil sie Frau ist. Die Grünen fordern Männer auf, Ulrike Lunacek zu wählen, weil sie Frau ist? Will das Ulrike Lunacek? Frauen wird durch diesen Slogan mangelnde Kompetenz unterstellt – man soll sie wegen des zweiten x-Chromosoms wählen.
Und auch Männern geht es mit dem Slogan natürlich nicht besser. Hätten die österreichischen Grünen in Frankreich zur Wahl von Le Pen aufgerufen? Hätten wir Griss statt van der Bellen, Ferrero-Waldner statt Fischer wählen sollen? Unsinn. Ja, ich wähle gern eine Frau. Aber nicht, weil sie Frau ist. Ich wähle auch gerne kompetente Männer. Aber nicht, weil sie Männer sind.
Woher kommt dieser misslungene Slogan? Ich denke, er kommt aus genau jener Perspektivenverengung, die entsteht, wenn man nicht Gleichberechtigung, sondern Feminismus als „Grundwert“ versteht. Und es ist ein falsch verstandener „Feminismus“.
Man kann noch mehr über grüne Grundwerte nachdenken. Aber das ist dann ein eigenes Thema.
> selbstbestimmt im engen Sinn ist sowieso ein Widerspruch zu solidarisch. Nicht ganz, ich denke, beides läßt sich nicht nur miteinander vereinen, sondern ist eine Voraussetzung des jeweils anderen. Denn bei Selbstbestimmung ohne Solidarität besteht das Risiko, in Egoismus zu verfallen. Und umgekehrt besteht bei Solidarität ohne Selbstbestimmung die Gefahr, dass das z.B. auf Kadavergehorsam hinausläuft. D.h. selbstbestimmt UND solidarisch sind für mich zwei Dinge, die untrennbar miteinander verbunden sind und eigentlich nicht getrennt existieren können. > Aber feministisch als Grundwert? Das ist Unsinn. Das verengt die Sicht, das raubt notwendige > Perspektiven, sowohl bei FunktionärInnen als auch bei WählerInnen.… Mehr »
[…] eine Partei, die feministisch zu ihren Grundwerten zählt: die österreichischen Grünen. Ich habe schon einmal dargelegt, dass ich das für ein fatales Missverständnis halte – der „Grundwert“ kann m.E. […]