USA
Wir können in den USA mit Trump 2.0 dem Versuch zusehen, wie ein Präsident sich zum Herrscher hochstilisiert, seine Getreuen um sich schart und versucht, die Demokratie, die ihn gewählt hat, abzuschaffen. Der Versuch läuft noch; das Ergebnis steht noch nicht fest.
Türkei
Wir sollten nicht vergessen, dass wir in Europa an der Grenze zu Asien einen ganz ähnlichen Fall haben: auch eine Demokratie, die einen Präsidenten gewählt hat, der sich nun zum Herrscher stilisieren will und diese Demokratie abschaffen will: die Türkei mit Recep Tayyip Erdoğan. Allerdings ist die Machtübernahme Erdoğans schleichend, nicht so schnell. Aber nicht weniger brutal in der Ausschaltung politischer Gegner.
vergleichbar?
Es gibt einiges, das die beiden Länder verbindet: Beide Länder sind präsidentielle Republiken auf einem autoritaristischen Weg in eine verdeckte Diktatur. Beide sind durch krasse Unterschiede zwischen Reich und Arm gekennzeichnet. Und durch den enormen Einfluss der Religion auf den Staat: in den USA sind es krude evangelikale Sekten, in der Türkei ist es ein verkarsteter Islam. Beide Länder rühmen sich ihrer Vergangenheit: in der Türkei ist es vor allem die des Atatürk.
Die Türkei ist ein großes Land. Mit ca. 87 Millionen Einwohner*innen ist sie etwas größer als Deutschland; sie gehört zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Welt. Das drittgrößte Land nach Indien und China (und der EU) sind dort die USA.
Ein Bericht
Ich hab in der Zeitschrift zenith einen m.E. ausgezeichneten Artikel über die heutige Türkei gefunden, aus dem ich hier ein paar Ausschnitte zitieren will. Der Artikel stammt von Hüseyin Çiçek und ist ursprünglich am 25. März im Standard erschienen:
Was sich am 23. März 2025 in der Türkei ereignete, war ein neuer politischer Tiefpunkt: Ekrem İmamoğlu, der populäre Bürgermeister von Istanbul, hätte an diesem Tag offiziell als Präsidentschaftskandidat der oppositionellen Partei CHP nominiert werden sollen. Stattdessen wurde er wenige Tage davor verhaftet. Und mit ihm – in einer konzertierten Polizeiaktion – mehr als hundert weitere Parteimitglieder, darunter Bezirksbürgermeister, Wahlkampfleiter und Strategieberater.
Am 18. März hatte die Universität Istanbul ihm nach mehr als 30 Jahren seinen Bachelorabschluss aberkannt – ein bürokratischer Akt mit klarer politischer Stoßrichtung. Denn laut türkischer Verfassung darf nur antreten, wer einen Hochschulabschluss besitzt. Die Botschaft war eindeutig: İmamoğlu soll nicht kandidieren.
[…]
Was İmamoğlu gefährlich macht, ist nicht Radikalität oder Populismus, sondern Reichweite. Er kann säkulare, linke, nationalistische und religiöse Wählerinnen und Wähler gleichermaßen ansprechen. Er rezitiert öffentlich aus dem Koran, lässt gleichzeitig aber die Porträts Atatürks über den Bosporus wehen. Er kann kurdische Stimmen gewinnen, ohne sich vom Nationalismus zu distanzieren. Kurz: Er überwindet das, was Erdoğan seit einigen Jahren ausgenutzt hat – die Fragmentierung der türkischen Gesellschaft.
Erdoğan agiert nicht aus Stärke, sondern aus politischer Sorge. Denn seine politische Bilanz ist desaströs. Die türkische Lira hat seit 2020 rund 85 Prozent ihres Wertes verloren. Die Inflation liegt laut offiziellen Angaben bei 50 Prozent – inoffiziell wird sie auf deutlich mehr geschätzt. Ganze Generationen gut ausgebildeter junger Menschen verlassen das Land. Die Immobilienpreise explodieren, die Kaufkraft sinkt, das Vertrauen in staatliche Institutionen ist erschüttert.
[…]
Was wir hier erleben, ist der Umbau einer defekten Demokratie in ein geschlossenes autoritäres System – mit funktionierenden Wahlen, aber ohne echte Wahlmöglichkeit. Mit Gerichten, die urteilen, aber nicht unabhängig sind. Mit einer Opposition, die existieren darf, solange sie nicht siegt.
Einen Bachelor-Abschluss nach 30 Jahren aberkennen, damit der Betreffende nicht kandidieren kann? Skandalös!
Die Parallelen …
… scheinen mir evident.
Die Parallelen führen dazu, dass in den internationalen Medien sehr viele Artikel gefunden werden können, wo sich die beiden Autokraten gegenseitig überschwänglich preisen; allerdings geht sich das nicht immer aus: wenn etwa die Interessen des einen durch den anderen beeinträchtigt werden. Da können sie bisweilen auch ungehalten werden. Laut der kurdischen Nachrichtenagentur ANF hat Trump Erdoğan 2019 auch schon mit der Auslöschung der türkischen Wirtschaft bedroht.