michael bürkle

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Michael Bürkle

Alles Gute, Schöne, Wahre und Liebe!

Ich habe, weil mich irgendein Teufelchen geritten hat, vielen meiner FreundInnen zum Jahreswechsel „alles Gute, Schöne, Wahre und Liebe“ gewünscht und das per mail und sms verschickt. (Ich erweitere den Kreis der AdressatInnen hiermit um meine Blog-LeserInnen.) Eine besonders geschätzte hat sich für den besonderen Wunsch bedankt und ihn sogar auf Englisch übersetzt und weitergeschickt.

„Alles Gute“ ist normal zum Jahreswechsel; „alles Schöne“ auch nicht ungewöhnlich, „alles Liebe“ ist weit verbreitet. „Alles Wahre“ ist als Wunsch eher unkonventiell. Ich hab mir allerdings nicht allzu viel dabei gedacht. Erst anhand der Rückmeldung meiner Freundin hab ich den Hintergrund bemerkt, der mich geleitet hat.

„Das Schöne, Gute und Wahre“ ist nämlich eine klassische Einheit, eine Art Dreifaltigkeit. Alle drei Ideen sind schon bei Platon (vor ca. 2400 Jahren) mit einander verbunden und gehen auf ein einziges Prinzip zurück. Sie sind die Grundlagen der Ethik (als Frage nach dem Guten), der Ästhetik (als Frage nach dem Schönen) und der Erkenntnistheorie (als Frage nach dem Wahren). Nach Platon benötigt die Auseinandersetzung mit diesen Ideen auch einen „philosophischen Trieb“, den Platon „Eros“ nennt – womit wir auch irgendwie bei der „Liebe“ wären (obwohl Platon sicher nicht das meint, was wir heute unter Erotik verstehen).

Ja, man wünscht sich heute Gutes, Schönes und Liebes. „lg“ für „liebe grüße“ ist die Standardgrußfloskel für sms und mails. Aber was bedeutet das eigentlich? Was soll an Grüßen „lieb“ sein? (Ich kenne junge Menschen, die mir versichern, nett sei „die kleine Schwester von scheiße“. Das müsste dann wohl auch für lieb anwendbar sein. Nein, ich glaube nicht, dass lieb und nett Schwestern von scheiße sind. Aber bei inflationärer Verwendung werden sie natürlich inhaltsleer.)

Schön und gut: schön und gut lassen sich gut und schön mit lieb verbinden. Wo bleibt die Wahrheit?

Ja, wo bleibt die Wahrheit? Wir leben in der „postfaktischen Gesellschaft“, versichern uns viele gescheite Leute. Jeder und jede kann heute über die sogenannten „sozialen Medien“ (die ich für wahrlich asoziale Medien halte) sogenannte „Nachrichten“ verbreiten, völlig unabhängig von deren Wahrheitsgehalt. Fakten spielen nur mehr eine marginale oder überhaupt keine Rolle. Es ist schwierig und aufwändig, eindeutige Lügen löschen zu lassen. Der angehende US-Präsident beschreibt seine Politik sowieso praktisch nur mehr in sogenannten „tweets“, die nicht länger als 140 Zeichen sein dürfen. Dass da die Wahrheit keine Rolle mehr spielen mehr kann, scheint mir evident.

Auch „Gutes“ ist heute in Misskredit. Wenn man einen Menschen als „Gutmensch“ bezeichnet, will man ihm damit Naivität unterstellen. Nein, ich denke, „Gutes“ oder „Güte“ sind nichts Schlechtes; sie sind nicht naiv, wenn sie mit Wahrheit verknüpft werden. Ich bin gar nicht ungern „Gutmensch“.

Nur „schön“ wollen alle sein. Styling zählt, bei Weiblein wie Männlein. Das ist mir wiederum relativ wurscht.

Ich glaube, der Wunsch von Schönem, Gutem, Wahrem und Liebem ist zeitgemäß. Wir brauchen zu den angenehmen, „warmen“ schönen, guten und lieben Wünschen auch den Wunsch nach dem eher kühleren, manchmal unangenehmen Wahren. Dabei ist mir schon klar, dass die Wahrheit sehr oft nicht einfach feststellbar ist. Es mag oft mehrere verschiedene Wahrheiten geben, aber das heißt nicht, dass die Frage nach Wahrheit sinnlos ist. Und es gibt jedenfalls eindeutige Lügen: die a-sozialen Medien sind voll davon.

Also: alles Gute, Schöne, Wahre und Liebe!


Quellen:
www.philosophie-kelkheim.de
www.gutefrage.net/frage/von-wem-stammt-die-aussage-wahr-schoen-gut
beide vom 1.1.2017


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