Warum ist die FPÖ bei der Nationalratswahl stärkste Fraktion geworden?
Ich glaube, es gibt dafür zwei Sorten von Gründen: österreich-interne und internationale. Die in Österreich hausgemachten Ursachen für die Erstarkung der FPÖ hat der Politik- und Staatswissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik im „Verfassungsblog“ gut zusammengefasst: unter dem Titel „Im Grunde war das eine für österreichische Verhältnisse ganz normale Wahl“. Das kann man vielleicht noch um einzelne Aspekte ergänzen.
Aber die österreichischen Wahlergebnisse sind ja nicht einzigartig. In sehr vielen Demokratien legen die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien zu. Da muss man sich Fragen stellen, die über den österreichischen Tellerrand hinausreichen.
1. österreich-interne Gründe
Ennser-Jedenastik zählt auf:
- Zuwanderung („Migration“) und Europäische Intergration
- Covid-Maßnahmen als übertrieben und ungerecht empfunden
- Ablehnung von Klimaschutz
- Verschwörungsmythen
- Politik gegenüber Russland
Ja, dieses Konglomerat kann zu 28,8% führen.
Ennser-Jedenastik wörtlich:
Die FPÖ wird vor allem von Leuten gewählt, die Zuwanderung und die Europäische Integration sehr negativ sehen, die die Covid-19-Maßnahmen der vergangenen Jahre für stark übertrieben und ungerecht halten und Klimaschutzmaßnahmen ablehnen. Zudem hängen FPÖ-Wähler:innen stärker als andere bestimmten Verschwörungsmythen an und halten die Sanktionspolitik gegenüber Russland für schädlich.
Ja, die vergangene Regierung hatte mit großen Problemen zu kämpfen. Da war die Pandemie, die völlig neue Herausforderungen mit sich brachte; da waren Wirtschaftskrisen mit einer hohen Inflation; und da ist die Klimakrise und immer noch der Krieg hinter der ungarischen Grenze.
zusätzlich …
Zu diesem Krisenkonglomerat kommen noch – sagen wir: – Ö-spezifische „Formkrisen“ dazu. Die SPÖ ist nicht wirklich „in Form“: sie ist immer noch gespalten und diese Spaltung wird immer wieder spürbar. Ihr neuer Vorsitzender Babler will die Partei links positionieren; viele andere Funktionäre machen da nur sehr ungern mit. Für viele Menschen ist die SPÖ deshalb nicht wählbar: „Die kann ich nimmer wählen, die streiten immer“ – das hab ich in Varianten oft gehört.
Auch die Grünen sind angeschlagen. Sie sind sowohl mit der Pandemie als auch der Klimakrise direkt verknüpft: sie hatten im Gesundheitsministerium einerseits einen Hauptteil der Administration der Pandemie zu tragen und sie sind im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie nicht nur mit der Klimakrise bzw. dem Klimaschutz, sondern über die Gaspreise auch mit der Inflation verbunden. Dass die Grünen angeschlagen sind, war z.B. im EU-Wahlkampf spürbar, als fast unerklärliche Entgleisungen und Fehlleistungen passierten. Parteistrukturen funktionieren nur langsam; die web-seiten sind oft fehlerhaft; das Wahlprogramm war nicht gut …
(Übrigens ist auch die ÖVP angeschlagen: sie hat auch in den Krisen regiert.)
Im Gegensatz dazu hat die FPÖ sehr viel Werbung gemacht: auf Tiktok. Tiktok ist vom Medium her populistisch: es geht um sehr kurze Botschaften; Reflexion ist nicht gewünscht. Das kann die FPÖ gut.
Die Pandemie
Ich glaube, dass Österreich die Corona-Pandemie i.W. gut überstanden hat. Allerdings war die Situation einzigartig und nicht alle Maßnahmen waren allen Menschen verständlich; manche Maßnahmen erscheinen im Rückblick auch überzogen, aber im Rückblick ist man leicht gescheiter. Es hat sicher grausame Härtefälle gegeben, in denen z.B. alte, sterbende Menschen ihre Enkel nicht mehr sehen konnten. Ich war aber immer der Überzeugung, dass die jeweiligen Gesundheitsminister (Anschober, Mückstein, Rauch) nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Sie wurden aber z.B. von Kanzler Kurz nur sehr ungenügend unterstützt und manchmal sogar bevormundet.
Ich selbst hatte keine Angst vor einer Impfung, bin mittlerweile auch mehrfach geimpft und trotzdem einmal leicht erkrankt. Aber mit der Impfung verbanden sich absurde Verschwörungstheorien, und in einer Gesellschaft, in der „Information“ auch aus mehr oder minder obskuren Quellen bezogen werden kann, spitzten sich die Meinungsgegensätze zu – und wirken nach bis heute. Eine „Impfpflicht“, die letztlich nie durchgeführt wurde, war ein politischer Fehlgriff und ist heute noch eine Belastung.
Asyl, Migration
Hier wird regelmäßig vermischt: Asyl ist die Flucht vor Verfolgung und ein politisches Recht; Migration ist keine Flucht vor „Verfolgung“ im engeren Sinn, sondern allenfalls vor schlechten Lebensbedingungen – und kein Recht.
Die Parteien des demokratischen Spektrums haben es zu wenig geschafft diesen Unterschied klarzumachen. Sie haben auch zu wenig klargemacht, dass Österreich Zuwanderung braucht – allein schon für den Arbeitsmarkt. Wir sind ein Zuwanderungsland; das macht Menschen auch Angst. Oft ist die Angst dort groß, wo noch gar keine Migrant*innen sind. (Das kennen wir auch vom Antisemitismus: der ist auch dort groß, wo es keine Jüdinnen und Juden gibt.)
Andrerseits schaffen es die FPÖ und die mit ihr verbundenen Medien immer wieder, vor Migrant*innen und damit vor der Migration Ängste zu schüren. Natürlich gibt es auch „Fremde“, die Verbrechen begehen: das kann man aufbauschen, wenn man Fremdenangst erzeugen will. Aber auch autochthone Inländer werden bisweilen Verbrecher. Natürlich gibt es Menschen, die ihre „Kultur“ durchsetzen wollen und beispielsweise über islamistische Propaganda ein Kalifat und die Einführung der Scharia propagieren, zum Terrorismus aufrufen und damit Angst erzeugen. Aber mit diesen Sonderfällen kann und muss man politisch und kriminalpolizeilich umgehen; sie sind aber weder für Asylwerber*innen noch für Migrant*innen typisch.
Klimakrise, Klimaschutz
Die Klimakrise halte ich für die gravierendste globale Krise unserer Zeit: sie besteht verkürzt darin, dass wir zu viel CO2 emittieren und damit unseren Lebensraum zerstören. Allerdings „glauben“ das viele Menschen nicht. Das ist allerdings keine Glaubensfrage: das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Ein wirksamer Klimaschutz würde unser Leben durchaus umkrempeln: davor haben viele Menschen Angst. Vereinfacht: sie wollen mit dem Auto fahren, auch wenn das nicht immer sinnvoll ist. Ihr Auto ist ihnen heilig, auch wenn es CO2 emittiert.
In Österreich sind viele Menschen der Ansicht, dass Österreich da sowieso nichts ausrichten könne, weil es zu klein sei. Damit wird die Verantwortung für die Klimakrise und für einen wirksamen Klimaschutz abgeschoben: an die EU, die USA, an China. Damit schiebt man auch die Angst vor den Klimaveränderungen ab. Für diese Menschen ist es nicht sinnvoll, den Klimawandel zum Wahlkampfthema zu machen; der Klimawandel ist ihnen zunächst „wurscht“. Kümmern müssen sich da sowieso andere darum – meinen sie.
Das war auch mein Fehler; das habe ich nicht gesehen. Für mich war und ist an sich selbstverständlich, dass auch Österreich in der Klimakrise seinen Anteil zu leisten hat. Es stimmt aber: das Klima ist global; wir allein in Österreich können den Klimawandel nicht in den Griff bekommen. Entweder schafft das die Menschheit „im Großen“, dann löst sich das Problem auch für Österreich; oder die Menschheit schafft es nicht; dann können wir mit dem Verbrennermotor in den Untergang fahren. Insofern ist für das Klima wichtiger, wer in den USA Präsident wird als wer in Österreich Kanzler ist.
Damit ist für viele der Klimawandel kein Wahlkampfthema und der Klimaschutz macht überflüssige Kosten.
Russland
Wir haben in der Nähe einen vehementen Krieg. Die Atommacht Russland hat die Ukraine überfallen. Wie stellt man sich dazu? Macht man Beschwichtigungspolitik mit dem Kriegsherrn Putin oder liefert man Waffen in die Ukraine? Oder macht man „irgendwas dazwischen“?
Beschwichtigungspolitik hat außerdem den Vorteil, dass man über die zu billigem Gas kommen könnte. Damit wäre – jenseits aller Klimapolitik – auch das Heizen im nächsten Winter gesichert. Außerdem verfolgt die FPÖ durchaus ein autokratisches Staatsmodell: eine Herrschaft wie die von Putin ist ihr nicht wirklich fremd, auch wenn es „nur“ eine wie bei Orban wäre.
Viele in der FPÖ sind offenbar für Beschwichtigen, auch wenn das auf Kosten der Unterstützung der Ukraine geht – aber es sichert günstiges Heizen. Außerhalb der FPÖ ist man eher der Ansicht, dass man Russland / Putin den Angriff auf die Ukraine nicht durchgehen lassen kann, weil das unmessbare Gefahren für die Zukunft von Ländern wie Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland … und für die EU bedeutet. Das bedeutet wiederum, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Und das kostet Geld. Für eine Partei, die die Europäische Integration sowieso nicht wirklich will, sondern immer wieder mit dem Austritt spekuliert, kann man sich diese Ausgaben sparen.
Was tun?
Ennser-Jedenastik ist skeptisch: diese Gemengelage an „Argumenten“ gebe es und das sei das Potenzial der FPÖ. Es gebe da kein summarisches Gegenmittel. „Es gibt in der Bevölkerung einfach eine starke Nachfrage nach den inhaltlichen Positionen der FPÖ. Die wird sich auch durch das Verhalten der anderen Parteien nicht massiv ändern.“
Ein Gegenmittel: Bildung. Die wirkt aber nicht sofort.
2. global
Die österreichischen Gründe für den Erfolg der FPÖ sind in vielen anderen demokratischen Staaten ähnlich. Die großen globalen Krisen machen auch in Deutschland, den Niederlanden, Italien, Frankreich, den USA Menschen Angst. Und der Populismus der AfD, Wilders‘, Mellonis, Le Pens, Trumps verkauft einfache „Lösungen“, die keine sind. Die Lösungen bestehen im Abschotten und im Abbau demokratischer Strukturen und im Aufbau von Autokratien.
Im Angesicht von Krisen kann man Kragen hochfalten, Türen abschließen, Mauern bauen. Das sind keine Lösungen der Krisen: das ist der Versuch, das, was man ist und hat, zu schützen vor dem, was da noch kommen könnte. Man könnte aber auch gemeinsam Ärmel aufkrempeln und zupacken. Das ist zunächst aber mit Mühe verbunden. Im Prinzip geht es um das Aufeinanderprallen von zwei Ideologien: Besitzstandswahrung vs. solidarisches Handeln. Das ist die Grundfrage für die nächsten 30 Jahre.
Der Klimaschutz ist allerdings etwas, was als Besitzstandswahrung nicht geht. Wir können keine Mauern bauen, um uns vor den Klimaveränderungen zu schützen. Das geht nur weltweit und solidarisch. Und darum sind Siege wie der der FPÖ in einem globalen Sinn Niederlagen, und da hat es in letzter Zeit schon einige gegeben.