Ich höre es öfters …
… es sei schon alles entschieden für die Nationalratswahl. Von FPÖ-Kandidaten selbstbewusst, von FPÖ-Gegner*innen frustriert.
Das stimmt aber nicht. Denn:
1. Es geht nicht nur um FPÖ ja oder nein. Das ist ein Versuch der FPÖ, den Wahlkampf zu stilisieren in ein „wir gegen den Rest“. Der „Rest“ wird da auch manchmal als „die Systemparteien“ zusammengefasst – als ob die FPÖ keine Systempartei wäre. Es gibt sie seit etwa 1955 und sie war schon an 5 Bundesregierungen beteiligt. Und selbstverständlich ist die Parteienlandschaft vielfältig, nicht so einfältig, wie die FPÖ weismachen will.
Außerdem: es wird bei der Nationalratswahl kein Kanzler gewählt, sondern der Nationalrat. Auch eine Partei, die 40% der Stimmen gewinnen würde, hätte damit kein „Recht“ einen Kanzler zu stellen.
2. Die veröffentlichten Umfragen sagen uns nie (!) die Ergebnisse der Befragung. Sondern immer das, was das Umfrageinstitut aufgrund der Befragungsergebnisse annimmt. Was das Umfrageinstitut annimmt, hängt von der Erfahrung ab – und vom Wunsch des Auftraggebers. Die Umfrageinstitute rechnen die Befragungsergebnisse in die zu publizierenden Zahlen um; je nachdem, wie sinnvoll diese Umrechnungsmethoden sind, sind die publizierten Daten dann sinnvoll oder auch nicht.
Bei den publizierten Umfrageergbnissen spielen Bewertungen und Auftraggeberwünsche eine Rolle.
3. Wenn die politischen Verhältnisse einigermaßen „stabil“ sind, ist es relativ leicht, aus Befragungsergebnissen zu halbwegs genauen Prognosen zu kommen. Derzeit sind die politischen Verhältnisse aber nicht stabil. Wir haben 9 Parteien, die österreichweit kandidieren; davon sind 3 de facto neu. Das sind völlig andere Verhältnisse als bei der letzten Wahl.
Umfrageergebnisse und Wahlergebnisse der letzten Wahl sind keine soliden Vergleichsmaße.
4. Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die unentschieden sind oder die nur selten oder gar nicht wählen gehen. Wenn es einer Partei gelingt, diese Menschen in einem relevanten Ausmaß zu Wähler*innen zu machen, ändert das plötzlich sehr viel – ohne dass sich das in Umfrageergebnissen zeigen muss.
Wir haben bei dieser Wahl eine Partei, die auf dem Stimmzettel als „KEINE“ aufscheint. Es kann sein, dass viele Menschen sie wählen, weil sie keine Partei wählen wollen. (Ich für mich nehme das als bewusste Irreführung wahr und habe deshalb beschlossen, diese Partei sicher nicht zu wählen.)
5. Wir hatten gerade jetzt, Mitte September, eine Unwetter- und Flutkatastrophe. Die kann man sehr leicht (und korrekt!) mit dem Klimawandel bzw. dem (fehlenden) Klimaschutz und der enormen Bodenversiegelung bzw. der fehlenden Renaturierung in Zusammenhang sehen. Das kann ohne Weiteres die Verschiebung einiger „Prozentpunkte“ beim Wahlverhalten ausmachen. In Umfrageeergebnissen kann das noch nicht zu sehen sein.
Es kann außerdem jederzeit ein Skandal oder ein Skandälchen auftauchen. Das kann das Wahlergebnis verschieben, ohne dass sich das bereits in Umfragen wiederspiegelt.
6. Es gibt Parteien, die in Umfragen „besser“ oder „schlechter“ abschneiden als bei Wahlen. Früher genierten sich Leute zuzugeben, dass sie FPÖ wählen – taten es aber doch. Das führte dazu, dass die FPÖ in den Wahlergebnissen besser lag als in den Umfragen. Heute ist das anders: viele Leute finden es „cool“ zu sagen, dass sie die FPÖ wählen – tun das dann aber doch nicht. Auch bei der Europawahl lag die FPÖ in den Umfragen besser als im Ergebnis. Auch bei der Innsbrucker Wahl lag die FPÖ in den Umfragen vorn, im Ergebnis nicht.
Wir werden das Wahlergebnis abwarten müssen. Bis dann kann man noch Menschen überzeugen, (a) ihr Wahlrecht wahrzunehmen und (b) keine „dumme“ Stimme abzugeben. „Dumme“ Stimmen sind aus meiner Sicht solche, die in den nächsten Jahren für die Mehrheit der Menschen schlechte Zeiten erwarten lassen. Aus meiner Sicht sind das Stimmen für die FPÖ und für die ÖVP. Alle anderen Parteien sind mehr oder weniger argumentierbar: es gibt da gute und weniger gute Argumente.
Beispiel APA
Die APA (Austria Presse Agentur) sammelt Umfrageergebnisse und versucht, sie in ein Gesamtbild zu fügen. Das führt zum beinahe tagesaktuellen APA-Wahltrend. Am 16.9. hieß es dort: „FPÖ im APA-Wahltrend stabil vorn, Überraschungen möglich“ („stabil vorn“ hieß: FPÖ bei 27,5%, ÖVP bei 24,4%, SPÖ bei 20,7%.) Zwei Tage später, am 18.9. war das bereits: FPÖ 27,2%, ÖVP 24,6%, SPÖ 20,5%.
Ein paar Absätze später zeigen 3 Umfragen vom 19.9. die ÖVP auf konstant 25%, die FPÖ bei 26-27%, die SPÖ bei 20-21%, die NEOS bei 9-11% und die Grünen bei 8-10%. Die Bierpartei lag da im Gegensatz zu den letzten Wochen mit 3% plötzlich unter der 4%-Hürde; die KPÖ mit 3-4% knapp dran.
Solche „Prognosen“ entstehen – wie gesagt – aus Bewertungen und Wünschen. Sie sind nicht nur Information zur politischen Lage, sondern auch Mittel der Beeinflussung – und werden auch so eingesetzt.