michael bürkle

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Michael Bürkle

Umfragen

bald & wichtig

Wir werden bald wählen: wir in Österreich am 29.9. den Nationalrat und damit mittelbar neue Regierungsverhältnisse; in den USA wählen viele Menschen am 5.11. eine neue Präsidentin (oder am Ende doch einen alten Präsidenten) und das gesamte Repräsentantenhaus (435 Mandate) und ein Drittel (34 von 100) der Mitglieder des Senats.

Beide Wahlergebnisse sind aus österreichischer Sicht sehr wichtig. Mit einem dummen Wahlergebnis kann sich Österreich eine erfolgreiche Klimapolitik „in die Haare schmieren“ (und damit die Grundlage für eine bleibende Zerstörung legen); mit einem dummen Wahlergebnis in den USA könnte man das schon fast für den gesamten Globus sagen. (Deswegen empfehle ich für Österreich: nicht die ÖVP wählen – für die ist Österreich ein „Autoland“; und schon gar nicht die FPÖ; die hat den menschengemachten Klimawandel noch nicht einmal verstanden. Zum gleichen Ergebnis kommt man übrigens, wenn man es am Sozialen Wohnbau aufhängt.)

Umfragen

In beiden Ländern wird die Vorbereitung der Wahl durch zahlreiche Umfragen begleitet. In den USA werden permanent sehr viele Umfragen gemacht; spezielle Internetseiten (z.B. 270towin, fivethirtyeight) machen sich die Mühe, diese Umfrageergebnisse einzuschätzen, zu bündeln und als laufende Gesamtzahlen zu veröffentlichen. Auf diese Weise könnte es evtl. gelingen, unseriöse Umfragen und ihre Ergebnisse herauszufiltern. (Auch die Wikipedia liefert wertvolle Übersichten.)

In Österreich beauftragen ab und zu Parteien oder Medien bestimmte Institute, Umfragen durchzuführen. Diese Ergebnisse werden dann veröffentlicht. Dabei bekommen wir praktisch nie die echten Umfrageergebnisse präsentiert. Die Meinungsforschungsinstitute rechnen die „Rohdaten“, die sie durch die Erhebung erhalten, nach ihren Erfahrungswerten auf die publizierten Daten um. Hören wir, dass eine Partei bei „25%“ liegt, kann das auch deutlich drüber oder drunter sein. Diese „Fälschung“ gilt noch nicht als Fälschung, sondern als erlaubte Datenkorrektur, damit die Daten – je nach bisheriger Erfahrung – „realistischer“ werden. Darüber hinaus kann man natürlich auch bewusst Umfragen fälschen; jede Umfrage hat einen Auftraggeber und der verfolgt unter Umständen mit seiner Umfrage Interessen. Nachdem der Auftraggeber die Umfrage bezahlt, werden viele Meinungsforschungsinstitute die Interessen des Auftraggebers berücksichtigen.

Weil Umfragerohdaten anhand vorhandener Einschätzungen umgerechnet werden, sind Umfragen dann relativ gut, wenn sich die politischen Rahmenbedingungen „stabil“ sind, also sich nicht sehr geändert haben. Wenn neue Parteien auftauchen, zu denen es wenig Erfahrungswerte gibt, ist das Umrechnen der Rohdaten auf realistische Daten u.U. sehr schwierig.

USA

In den USA haben sich die politischen Fundamente in den letzten Jahren nicht sehr verändert: es gibt 2 große Parteien – „Demokraten“ und „Republikaner“ – und mehrere kleine. Kandidat*innen brauchen für ihre Kandidatur enorm viel Geld: Millionen $$$$$$. Wer nicht für die demokratische oder die republikanische Partei kandidiert, hat praktisch keine Chance, die Wahl zu gewinnen.

Außerdem spielen die Stimmen der Bevölkerung nur eine höchst untergeordente Rolle. Man kann mit mehr Stimmen ohne Weiteres die Wahl auch verlieren. Ich habe das schon mehrfach erklärt. Es geht um – ich nenne es – „Wahlmandate“; manche sprechen auch von „Wahlmännern“. Jeder der 50 Bundesstaaten hat je nach Bevölkerungszahl eine bestimmte Anzahl dieser Mandate: die Zahlen schwanken zwischen 3 bei Staaten mit kleiner Bevölkerungszahl und 54 bei Kalifornien. Insgesamt hat das Wahlkollegium 538 Mitglieder. Ab 270 hat man die Mehrheit. Wer einen Bundesstaat gewinnt, bekommt alle Mandate, egal, wie knapp dieser Sieg war. Nachdem es sowohl traditionell „demokratische“ als auch traditionell „republikanische“ Bundesstaaten gibt und einige, die umkämpft sind, entscheiden die Wahlergebnisse in den umkämpften Staaten de facto die Wahl.

Die Umfrageergebnisse in den letzten 2 Wochen (Quelle: projects.fivethirtyeight.com/polls/president-general/2024/national/, ca. 12 Uhr):

Wahlm.  Fr 16.8.
Fr 30.8.
USA ganz 538 +2,6 +3,5
Harris 46,3 47,2
Trump 43,7 43,7
Michigan 15 +2,6 +3,0
Harris 45,9 47,0
Trump 43,3 44,0
Wisconsin 10 +2,8 +3,6
Harris 47,0 47,8
Trump 44,2 44,2
   
Pennsylvania 19 +1,3 +1,8
Harris 46,0 46,7
Trump 44,7 44,9
Nevada 6 +0,3 +1,3
Harris 44,6 45,9
Trump 44,3 44,6
Arizona 11 +0,7 +0,5
Harris 45,0 45,7
Trump 44,3 45,2
Georgia 16 -0,2 +0,6
Harris 45,8 46,6
Trump 46,0 46,0
North Carolina 16 -0,8 -0,2
Harris 44,9 45,8
Trump 45,7 46,0

Das sind die 6 momentan interessanten „swing states“, die in den letzten Jahrzehnten verschieden gewählt haben (Michigan, Wisconsin, Pennsylvania, Nevada, Arizona, Georgia) mit ihren derzeitigen Umfrageergebnissen in Prozenten und der Differenz aus der Sicht von Harris – und dazu ein an sich republikanischer Bundesstaat (North Carolina), bei dem die Umfrageergebnisse derzeit aber besonders knapp sind. Es handelt sich – wie gesagt – um gemittelte Umfrageergebnisse über zahlreiche Umfragen, „accounting for each poll’s recency, sample size, methodology and house effects“.

Man sieht: der Vorsprung von Kamala Harris nimmt tendenziell zu. Über die gesamten USA gerechnet beträgt er derzeit 3,5 Prozentpunkte (vor 2 Wochen waren es noch 2,6); in Michigan und Wisconsin ist der Vorsprung schon gut sichtbar und auch größer geworden; in Pennsylvania und Nevada steht es knapper, aber auch da führt Harris zunehmend. Arizona und Georgia sind sehr knapp; Harris scheint Georgia in den letzten beiden Wochen „gedreht“ zu haben. In North Carolina ist Trump noch vorn, aber sein Vorsprung ist geschmolzen.

Allein ein Sieg in den Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin würde – wenn alle anderen Annahmen über die Verhältnisse in den diversen Bundesstaaten stimmen – Harris zum Sieg reichen. Wenn sie Pennsylvania nicht gewinnt (19 Mandate), würde das auch durch Siege in Nevada und Arizona (insgesamt 17) nicht wettgemacht werden. Und natürlich gehört der „Beipackzettel“ dazu: das sind bloß Umfrageergebnisse, die können auch falsch oder absichtlich gefälscht sein; es kann sich noch viel tun; entschieden ist erst sehr wenig.

Was ist in den 2 Wochen zwischen den Umfrageergebnissen Größeres passiert? Zunächst der demokratische Nominierungsparteitag, wo Kamala Harris zur Kandidatin und Tim Walz zu ihrem Vize ernannt worden sind; dann der Rückzug des Kandidaten Kennedy, der eine Wahlempfehlung für Trump abgegeben hat – die sich in den Umfragen offensichtlich nicht niederschlägt (!), höchstens dadurch, dass sowohl Harris als auch Trump tendenziell zugelegt haben. (Dass die Summen der Prozentzahlen von Harris und Trump nicht 100 ergibt, liegt daran, dass es neben Harris und Trump und dem ausgeschiedenen Kennedy noch andere Kandidat*innen gibt.)

Österreich

In Österreich gibt es ab und zu Umfragen und entsprechende Ergebnisse; es gibt kein permanentes Befragen der Bevölkerung. Und es gibt nur wenige Quellen, die diese Umfrageergebnisse vergleichend sammeln. Es gibt von der Austria Presse Agentur (APA) eine Seite „Wahltrend“, die die verschiedenen Umfrageergebnisse dokumentiert; und es gibt die Wikipedia, die das akribisch durchführt. Beide haben als letzte ausgewiesene Umfrage eine vom 14.8. (!!!) – in den USA undenkbar.

Diese letzte Umfrage ist eine besondere: sie weist z.B. ein besonders hohes Umfrageergebnis für die FPÖ aus. Beauftragt ist sie vom online-Medium exxpress.at und durchgeführt vom Institut INSA. exxpress ist eine rechtspopulistische, stark FPÖ-nahe „Nachrichtenseite“, die oft auch nur Gerüchte vervielfältigt und die mit einem sachlichen Journalismus nichts zu tun hat. (Sie wurde auch schon als „verantwortungslose Hetzplattform“ bezeichnet.) Das Meinungsforschungsinstitut INSA (bzw. seine österreichische Außenstelle) sitzt in Innsbruck und gehört laut Impressum einem Hermann Binkert, der früher für die deutsche CDU Politiker war und der nun offenbar auch die AfD berät. Also da könnte man sowohl vom Auftraggeber als auch vom Dienstleister her den Verdacht hegen, dass dem Umfrageergebnis ganz konkrete Interessen zugrundeliegen. Ich würde von dieser Umfrage die Finger lassen; wie gesagt: Umfrageergebnisse können nicht nur falsch sein, sie können auch absichtlich gefälscht sein.

Die Wikipedia-Seite macht das insgesamt sehr sorgfältig: sie nennt nicht nur die veröffentlichten Umfrageergebnisse (die – wie gesagt – sicher nie die Rohdaten sind), sondern auch Zeitpunkt, Institut und Auftraggeber, Anzahl der Befragten, Befragungszeitraum und Methode. (A bissl patschert ist es vielleicht, die jeweils neueste Umfrage auch als Grafik zu präsentieren, vor allem, wenn die neueste nicht seriös ist.)

Mit dem INSA-Ergebnis haben wir den Stand vom 7.8.; der ist relativ „alt“ und nicht seriös. Die anderen Umfragen zeigen 3 Parteien (ÖVP, SPÖ, FPÖ) im Kampf um die ersten 3 Plätze, 2 Parteien (Grüne, NEOS) im Gerangel um Platz 4, eine BIER-Partei, die es in den Nationalrat vermutlich eher schaffen wird und eine KPÖ, die vermutlich nicht auf die erforderlichen 4% kommen wird. Der „Wandel“ (der als „KEINE“ antritt), die Liste Petrovic und andere Listen haben offenbar kaum Chancen, wahrgenommen zu werden. (Hier rächt sich offenbar das Wiederaufflammen „alt-linken“ Sektierertums, das Listen wie KPÖ und Wandel mit weitgehend gleicher Programmatik separat und gegeneinander antreten lässt.)

Schlussbemerkungen

Die USA und Österreich haben verschiedene Umfragekulturen. Das liegt einerseits an der schieren Größe der Länder, andrerseits an den verschiedenen Wahlsystemen. Und drittens an verschiedenen Traditionen.

In den USA ist das Umfragewesen eine Art Industrie: es gibt x Meinungsforschungsfirmen und auch Universitäten betreiben Meinungsforschung. Umfragen geschehen dauernd. Man vertraut einer einzelnen Umfrage an sich nicht: man mittelt die Ergebnisse verschiedener Umfragen: „accounting for each poll’s recency, sample size, methodology and house effects“. Außerdem fällt in den USA manches als Meinungsforschungsthema gar nicht an: Z.B.: Wie wählen die Wähler*innen in Kalifornien? In großer Mehrheit und ausreichender Klarheit „demokratisch“: da gibts nix zu befragen. Ähnlich in Texas: in großer Mehrheit „republikanisch“, und ob mit 50,5% oder 55% oder 75% ist für die Präsidentschaftswahl egal.

In Österreich gibt es rel. wenige Institute, die kompetent Meinungen erforschen können. Und auch inkompetent erhobene Ergebnisse werden publiziert, wenn das der Auftraggeber so will. Meinungsforschung passiert anlassbezogen, nicht dauernd. Und zwischen politischen Parteien oder Cliquen und Meinungsforschung gibt es bisweilen erhebliche persönliche Verquickungen und Interessensüberschneidungen – ich erinnere z.B. an Kurz und das „Beinschab-Tool“. Man muss sich bemühen, Spreu vom Weizen zu trennen – in den USA macht das (leicht übertrieben) der Mittelwert.

In beiden Ländern gilt: Umfrageergebnisse können falsch oder sogar gefälscht sein; sie dienen für die Auftraggeber womöglich der Steuerung des Wahlkampfs und der Meinungsmache; wenn sich Verhältnisse ändern, ist die Umrechnung von Rohdaten auf Publikationsdaten ohnehin sehr schwierig; und: es kann noch viel passieren.


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