Das Blattl
Neulich hab ich von einem jungen Unternehmer einen Werbeflyer für die „LMP“ bekommen: die Liste Madeleine Petrovic. Die Liste Petrovic will zur Nationalratswahl kandidieren und sammelt deshalb Unterstützungserklärungen. Der junge Mann bat um eine solche.
Das Blättchen im Format A5 sammelt auf der Vorderseite „Unsere Werte“ und „Unsere Haltung“, auf der Rückseite „Unsere Politik“. Es gibt eine web site – die hab ich oben verlinkt, und es gibt bereits 3 Gesichter: das von Madeleine Petrovic, das von Monika Henninger-Erber und das von Nora Summer.
Die Werte seien:
Lebensfreude, Zusammenhalt, Selbstbestimmung, Naturverbundenheit, Gleichberechtigung, Achtsamkeit, Vielfalt, Mut
Da kann man kaum etwas dagegen sagen. Auch unter „Haltung“ und „Politik“ findet man zunächst wenig, was Widerspruch erzeugt. Am meisten irritiert mich da eine Formulierung wie „Echter Natur- und Umweltschutz statt reiner Klimapolitik“ – als ob es in Österreich irgendjemanden gäbe, der „reine Klimapolitik“ betreibt.
Die Liste Petrovic bezieht sich im Flyer explizit auf die Grünen: in der „echten Grün- und Friedensbewegung“ habe sie ihre Wurzeln, wobei das „mit der Namensgeberin“ zu tun habe.
Was es nicht gibt: eine Liste bzw. insgesamt 10 Listen wählbarer Kandidat*innen (eine Bundesliste und 9 Länderlisten). Die Sache ist also noch im Anfangsstadium. Nicht einmal Kontaktpersonen für die Bundesländer sind zu finden.
Hintergründe
Die Liste Petrovic stammt aus einer Initiative „GGI“, die „Ende 2021 – als Reaktion auf die Corona-Impfpflicht – als “Grüne gegen Impfpflicht und 2G” gegründet [wurde]. Daraus wurde im Jänner 2022 der Verein “Grüner Verein für Grundrechte und Informationsfreiheit”“. Mitglieder dieses Vereins gründeten am 14.5.24 die Liste Petrovic; einige Mitglieder des Vereins haben eine grüne Vergangenheit.
Madeleine Petrovic war Grüne Bundessprecherin (1994-1996) und Klubobfrau (1992-1999) im Nationalrat. Nach einem kurzen Intermezzo in der niederösterreichischen Landespolitik zog sich Petrovic aus der Parteipolitik zurück, blieb aber z.B. Expertin für Tierschutz im Sozialministerium. In den Jahren 2021 und 2022 trat sie als Gegnerin der Corona-Maßnahmen in Erscheinung, wobei sie u.a. „den sofortigen Stopp aller Corona-Schutzmaßnahmen forderte“. Sie verwendete dabei auch populistische bzw. verschwörerische Unterstellungen und schloss sehr problematische Bündnisse.
Monika Henninger-Erber ist „freie Gemeinderätin“ in der Gemeinde Grafenegg. Außerdem ist sie offenbar Einzelunternehmerin als „Unternehmensberaterin“. Auch sie war im Verein GGI aktiv.
Nora Summer ist eine (nach Selbsteinschätzung) „begeisternd inspirierende Trendsetterin“, die u.a. als „darstellende Künstlerin, Stuntwoman, Autorin, Speakerin, zweifache Mutter, Frau und einiges mehr“ aktiv ist. Sie ist auch Astrologin und bietet als „Produkt“ u.a. sogenannte „Kinder-Persönlichkeitsanalysen mit psychologischer Astrologie“ an. Das ist aus meiner Sicht eine gefährliche Drohung!
Kurzer Exkurs zu Corona
War die österreichische Corona-Politik schlecht? Ich glaube nicht. Die grünen Minister Anschober, Mückstein und Rauch haben sehr viel richtig gemacht. Sicher sind auch Fehler passiert, besonders dann, wenn Kanzler Kurz sich staatstragend eingemischt hat. Wir alle – „normale“ Bürger*innen und politisch Verantwortliche – waren in einer sehr komplexen und völlig neuen Sondersituation: da passieren schon Fehler, nicht nur in Österreich. (Einer der gravierendsten war eine Impfpflicht – die wurde aber nicht umgesetzt.) Aber insgesamt haben wir die Pandemie m.E. einigermaßen gut überstanden und der „sofortige[n] Stopp aller Corona-Schutzmaßnahmen“ wäre sicher nicht richtig gewesen.
Ich rate ab. Dringend!
Das Projekt „Liste Petrovic“ befindet sich m.E. hart am Rande der Esoterik – oder auch schon drüber. Es stammt aus der Gegnerschaft der Corona-Maßnahmen; es versucht explizit, über die grüne Vergangenheit der Listenführerin in grünen Wählerkreisen zu fischen. Es vermischt grüne Thematik und grüne Schlagworte mit einem dubiosen Gemenge aus schön klingenden Phrasen und seltsamen „Projekten“ und „Produkten“.
Schon einmal, 2017, hat ein prominentes Ex-Mitglied der Grünen, damals war es Peter Pilz, zur Nationalratswahl eine eigene Liste aufgestellt. Die Liste Pilz kam mit 4,4% knapp als Kleinstfraktion mit 8 Mandaten ins Parlament; das kostete den Grünen, die nur mehr auf 3,8% kamen, alle Parlamentssitze. 2 Jahre später, 2019, fiel die Liste Pilz mit nur mehr 1,9% wieder aus dem Nationalrat hinaus; die Grünen zogen mit 13,9% und 26 Mandaten wieder ins Parlament ein. (In dieser Zeit hat sich Werner Kogler bleibende Verdienste erworben.)
Es hat sich deutlich gezeigt: Das grüne Wählerpotenzial ist für Spaltungen nicht groß genug. Wir reden von derzeit ca. 10-12%; geteilt und mit Teilungsverlusten ist man da schnell in der Bedeutungslosigkeit.
Ich glaube nicht, dass die Liste Petrovic bereits reif für eine Kandidatur ist. Da fehlt noch sehr viel: vor allem glaubwürdige Kandidat*innen und konkrete politische Pläne. Allerdings hat die Liste Spaltpotenzial: sie kann ein „grünes Lager“ in kleinere, für sich unbedeutende Teile spalten. 2% für eine Liste Petrovic bringt ihr keine Mandate, kostet aber wichtige Mandate z.B. für Regierungsverhandlungen.
Auch die Liste Pilz hat Positives bewirkt: ihr positivstes Langzeitergebnis ist vermutlich Justizministerin Alma Zadić, die über die Liste Pilz ins Parlament gekommen war, dann zu den Grünen gewechselt ist und m.E. eine sehr klare und kompetente Justizministerin geworden ist. Wegen ihr und auch wegen der Klimapolitik der Ministerin Gewessler werde ich wohl wieder grün wählen, wenn ich auch katastrophale Auftritte der Parteiführung im EU-Wahlkampf zu verdauen habe. Wir brauchen aber eine starke Vertretung für einen effektiven Klimaschutz im nächsten Parlament!
[…] hat mich schon am 15.7. interessiert: „„echt grün“? oder ziemlich falsch?“. Leider muss ich meinen damaligen Befund nicht revidieren: das ist ein sehr unausgegorenes Projekt. […]