Der Film
Ich habe Mitte Mai den Film „Das Lehrerzimmer“ gesehen. Ich hätte berichten sollen.
Regisseur ist Ilker Çatak, die Hauptrolle der Carla Nowak spielt sehr glaubwürdig Leonie Benesch. Beide haben ausgezeichnete Arbeit geleistet.
Carla Nowak, eine junge, engagierte, beliebte Lehrerin für Mathematik und Sport an einem Gymnasium – es ist nach der Mathematikerin Emmy Noether benannt – stößt auf Diebstähle, vermeintliche, vermutetet, reale. Sie wird zuerst in den „Fall“ eines verdächtigten Buben verwickelt, dessen türkische Eltern entsetzt sind über die Anschuldigungen. Im Gespräch mit den Eltern wird nicht ganz klar, wie sehr man um den Buben fürchten muss. Noch ernster wird die Lage, als im Lehrerzimmer geklaut wird. Carla stellt ihren PC im Lehrerzimmer unbemerkt auf Filmaufnahme – und als ehemaliger Direktor will ich ihr zurufen: Das kannst du doch nicht machen! – und nimmt ein Video auf, das möglicherweise einen Diebstahl zeigt. Es ist eine Bluse in direkter Nähe des Arbeitsplatzes von Carla zu sehen; man sieht das Klauen nicht, aber die Bluse ist ziemlich klar die einer leitenden Lehrerin aus dem Direktionsvorzimmer. Ein starkes Indiz – aber kein Beweis. Carla versucht zunächst, das in einem 4-Augen-Gespräch mit der Betroffenen zu klären; aber die gibt es nicht zu. Es kommt, wie es kommen muss: Gespräch bei der Direktorin, „Freistellung“ der Lehrerin. Das illegal aufgenommene Video ist da. Die Sache zieht Kreise.
Die Personalvertretung schaltet sich ein. Die Schülervertretung sieht die Chance einer billigen Profilierung und interviewt und fotografiert Carla, bringt den Artikel aber demagogisch verzerrt. Elternabende werden zu Verhören, in denen entrüstete Eltern ihre auf Teilinformationen und Gerüchten beruhenden Fragen stellen. Die Personalvertretung wird zerrissen zwischen Ansprüchen und Realitäten …
Der Film ist verdammt nahe an Schulrealität. Er skizziert das Biotop Schule mit all seinen Fallen, Abhängigkeiten und Verzerrungen. Ich finde ihn wirklich sehenswert, auch wenn er beängstigt. Ich kann beruhigen: die geschilderten Fälle sind realistisch beschrieben, aber im Schulalltag, wie ich ihn kennen gelernt habe, die seltene Ausnahme.
Was ist mir alles erspart geblieben!
Der Film macht betroffen; ich bin jetzt ungefähr ein Jahr in Pension und einer der ersten Gedanken war: „Was ist mir alles erspart geblieben!“ Ja, ich denk, ich hab Glück gehabt.
Ich war lange Jahre Lehrer für Mathe, Deutsch, Informatik und noch anderes. Insgesamt waren das 16 Jahre Lehrtätigkeit an der Uni, dann 10 Jahre an einem Gymnasium A, dann noch einmal 8 Jahre an einem Gymnasium B, dann 5 Jahre als „Administrator“ am Gym A und dann noch 6 Jahre als Direktor am Gym A. Dazwischen 2 Jahre noch was anderes.
Ich habe sehr selten wirkliche Probleme mit Schülern oder Schülerinnen gehabt – mit ganz wenigen Ausnahmen: ein 12-jähriger, der sehr viel „schwänzte“ und bei Verständigungen an die Mutter (Vater gab es keinen) Unterschriften fälschte und der auch schon im Umfeld der Schule rauchte; ein 17-jähriger, der keinerlei Hausaufgaben brachte, schlechte Leistungen zeigte, in der Klasse nicht kommunizierte – und vielleicht ein versteckter Fall von Autismus war – Diagnose gab es keine, aber vermutlich eher von ausgeprägter Computer-Spielsucht. Die Schule war ihm augenscheinlich völlig egal – nur seinen Eltern nicht, die beide auch Lehrer waren und gegen mein „Nicht genügend“ als Jahresnote erfolgreich einen Einspruch schafften – mein einziger: ich habe 100% aller Einsprüche verloren.
Ich habe sehr selten Probleme mit Eltern gehabt – da halfen genaue Notenbegründungen viel; ich habe sehr selten Probleme mit Kolleginnen und Kollegen gehabt. Doch halt … das stimmt nicht ganz. „Selten“ stimmt, aber ein „Fall“ war nervenaufreibend und heftig – so heftig, dass ich ihn hier lieber gar nicht ausführe. Es endete in einem langfristigen Karenzurlaub.
Ja, die Erinnerung verklärt schnell.